Lesestunde / Lekcja czytania

Gemeinsam mit dem Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften legt das Deutsche Historische Institut Warschau einen zweisprachigen Band zur deutsch-jüdischen-polnischen Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte vor.

Dreißig Autorinnen und Autoren, hälftig deutsche und polnische, sind der Einladung des Herausgeberquartetts  Joanna Nalewajko-Kulikov und Grzegorz Krzywiec (vom Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften) sowie Ruth Leiserowitz und Stephan Lehnstaedt (vom DHI Warschau) gefolgt, um in originalen Beiträgen den Vorgang des Lesen als soziologisches und kulturelles Phänomen zu beschreiben. Aufgabe war es, diesem Phänomen nachzugehen, das die Identität von Individuen, Gruppen und Nationen seit langem geformt hat, es auch weiterhin tut und so eine Grundlage für signifikante Diskussionen über politische, soziale und kulturelle Themen darstellt. Der entstandene Sammelband gliedert sich in vier große Kapitel, die sich dem Topos aus vier unterschiedlichen Perspektiven nähern. Innerhalb des ersten Kapitels werden Buch und Lektüre als transnationale Phänomene behandelt. So untersucht Agnieszka Zółkiewska beispielsweise, inwiefern deutschsprachige Literatur vor dem Zweiten Weltkrieg ins Jiddische übersetzt wurde und Elvira Grözinger analysiert hingegen das Bild der polnischen Heimat, um nur zwei Beiträge dieses Kapitels zu erwähnen. Im zweiten Kapitel widmen sich verschiedene Autoren der Frage, inwiefern das Buch als integrativer Faktor fungierte. Hierzu hat Francois Guesnet eine jiddische Komödie des 19. Jahrhunderts untersucht und Tadeusz Stegner und Pawel Fijałkowski haben sich in ihren Beiträgen jeweils mit der Lektüre und den Lesegewohnheiten evangelischer Polen auseinandergesetzt. Das dritte Kapitel, das unter der Überschrift „Das Buch als diskursiver Faktor“ steht, enthält u.a. Beiträge, die sich mit der Rezeption von Hitlers „Mein Kampf“, den Werken Jürgen Habermas‘ und denjenigen Carl Schmitts in verschiedenen polnischen Zeitabschnitten befassen.  Im vierten Kapitel, das dem Thema des Buches als Zeuge der Vernichtung oder auch als Opfer dieser gewidmet ist, und das umfangreichste des gesamten Bandes darstellt, reicht das Spektrum über die Dokumentationstätigkeit in den Gettos Litzmannstadt und Warschau  (Andrea Löw), die Geschichte des Raubs der Bibliothek des Zaddiks Alter aus Góra Kalwaria (Igor Kąkolewski/ Alina Skibińska) bis hin zur Publikationsgeschichte der „Chronik des Warschauer Gettos“ (Joanna Nalewajko-Kulikov). Eingeleitet wird der Band durch einen kurzen Beitrag von Feliks Tych, den Abschluss bildet ein Text von Magnus Brechtken über seine Begegnungen mit Jürgen Hensel und ihren gemeinsamen Gesprächen über das Werk Hermann Rauschnings. Der Warschauer Historiker steht nicht zufällig im Zentrum dieses Beitrages, denn dieser Band stellt auch eine Festschrift für den Historiker Jürgen Hensel dar, mit dem das 35jährige Jubiläum seiner Arbeit hier in Polen geehrt wird. Hensel hat in vielfältiger langjähriger Arbeit in Forschung, Übersetzung und Vermittlung sowohl am DHI wie auch am Jüdischen Historischen Institut  und darüber hinaus gewirkt.  
Der Band enthält alle Beiträge in der Originalsprache und jeweils eine Kurzzusammenfassung in der anderen Sprache. Er wurde mit finanzieller Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, des Jüdischen Historischen Instituts und der Rosa-Luxemburg-Stiftung  herausgegeben. Die Übersetzungen wurden aus Mitteln des Deutschen Historischen Instituts Warschau finanziert.
    
Ruth Leiserowitz/Stephan Lehnstaedt/Joanna Nalewajko-Kulikov/Grzegorz Krzywiec (Hg.), Lesestunde/Lekcja czytania, Warschau 2013, 495 S., PLN 35, ISBN 978-83-7543-261-9  

24
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