Montagskolloquien in der DHI-Außenstelle in Prag

Seit Mitte Oktober 2018 veranstaltet die Prager Außenstelle des DHI Warschau in Kooperation mit dem Collegium Carolinum München die Montagskolloquien. Im Sitz der gemeinsamen Arbeitsstelle in der Valentinská 1 referieren die Vortragenden zu ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Forschungsthema. Die Kolloquien sind thematisch größtenteils in der Kulturgeschichte angesiedelt. Was ihre Gegenstände, Methoden und Theorien betrifft, stellten die Vorträge bisher eine sehr breite und epochenübergreifende Geschichtsperspektive dar. Sie alle bezogen eine mannigfaltige Palette verschiedener Ansätze ein, die sich anhand ihrer nationalen und intellektuellen Kontexte unterschieden. Einige waren interdisziplinär angelegt und von literatur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Konzepten inspiriert. Bisher fanden in Prag fünf Montagskolloquien statt.

Die Vortragsreihe eröffnete Miroslav Hroch mit einem Referat über den historischen Roman als Quelle für das Studium des historischen Bewusstseins in Zentraleuropa. Miroslav Hroch ging darin von den Anfängen der tschechischsprachigen historischen Diskussionen über das historische Bewusstsein in den 1960er Jahren aus, die von der ästhetischen Arbeit von György Lukács angeregt wurden. In den 1970er Jahren organisierte die tschechisch-polnische Historikerkommission regelmäßige Jahrestagungen zum Thema „świadomość historyczna“. Miroslav Hroch verglich die historischen Romane von Alois Jirásek, Henryk Sienkiewicz und Felix Dahn, die bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten und meistgelesenen tschechischen, polnischen und deutschen Autoren gehörten.
Der zweite Vortrag, gehalten von Zdeněk Uhlíř, befasste sich mit dem Problem der „Landgemeinde“ im mittelalterlichen Böhmen. Das Konzept der Landgemeinde wurde während der 1980er Jahre in der tschechischsprachigen Geschichtswissenschaft sehr stark im Zusammenhang mit der Chronik des sog. Dalimil diskutiert. Die Dalimil-Chronik wurde in dieser Zeit nicht nur als Quelle für die mittelalterliche Geschichte untersucht, sondern auch als historischer Text, der die spezifischen Standesinteressen und Gruppenansichten repräsentierte. Zdeněk Uhlíř hob den offenen Charakter der böhmischen Landgemeinde hervor, die bis zum Ende des 14. Jahrhunderts Menschen aus unterschiedlichen sozialen und ethnischen Gruppen umfasste.

Im dritten Vortrag widmete sich Zdeněk Hojda den kulturellen Investitionen der Altstädter Bürger in Prag während der Barockzeit. Mit seiner Arbeit knüpfte Zdeněk Hojda an die polnisch- und französischsprachige Forschung an. Anhand von Erbschaftsinventaren untersuchte Hojda Investitionen in die bildende Kunst im öffentlichen Raum sowie den Kauf von Kunstobjekten in privaten Bürgerhaushalten. Zdeněk Hojda interpretierte diese Investitionen als bürgerliches Bestreben nach gesellschaftlichem Status und Prestige.

In seinem Vortrag zum Thema „Die Maschine zur Erkennung von Individuen und Unterdrückung von Revolutionen“ sprach Pavel Himl über die Geschichte der Polizei in Böhmen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu tschechischen nationalen Narrativen, welche die Polizei als Mittel der österreichischen („deutschen“) Unterdrückung und Zentralisierung der Wiener Regierung wahrnahmen, betonte Himl die breiteren alltäglichen Kompetenzen der Polizei. Die Polizeidirektion in Prag wurde im Jahre 1782 nach dem Pariser resp. Wiener Vorbild gegründet. Pavel Himl präsentierte seine Gedanken in Bezug auf den Zusammenhang zwischen dem sozialen Wandel und der Entstehung der modernen Polizei. Demnach habe die Polizei nicht nur Repression ausgeübt und von den lokalen und partikulären Herrschaftsbeziehungen entbunden, sondern zudem einen starken Egalisierungsanspruch besessen. Außerdem habe sie Kommunikationsnetzwerke erschaffen und neues Wissen über die Gesellschaft produziert.

Felix Jeschke stellte im fünften Vortrag der Reihe die historischen Annäherungen zwischen Nation und Meer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Nationalismus und Tourismus seien demnach lange Zeit als zwei gegensätzliche Phänomene wahrgenommen worden, da Auslandsreisen scheinbar Weltoffenheit und Kosmopolitismus verkörperten. Jeschke schilderte am Beispiel tschechischer Ausflügler an der kroatischen Küste, wie Tourismus zur Festigung nationaler Identität und Besonderheit beitrug. Seit den 1890er Jahren seien von tschechischen Unternehmern unter der Fahne panslawischer Wechselseitigkeit in den Adriabädern Baška und Kupari erste Hotels errichtet worden, die ausschließlich auf tschechische Kundschaft setzten. Der Tourismus sei somit als Nationalisierung des Raumes bzw. als nationale Aneignung des Meeres begriffen worden, zu dem Angehörige der tschechischen Nation bis dato keinen Zugang hatten.

Die Reihe der Montagskolloquien in der Prager Außenstelle wird in diesem Jahr fortgesetzt.


01
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