Vollständige Quellenedition zu den Einsatzgruppen in Polen im Herbst 1939

In Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut Warschau ist im Metropol Verlag soeben eine neue Quellenedition erschienen, die die Berichte der Einsatzgruppen der deutschen Sicherheitspolizei aus Polen im September und Oktober 1939 umfasst.

Der von den Mitarbeitern des DHI Warschau Stephan Lehnstaedt und Jochen Böhler herausgegebene Quellenband mit den erstmals vollständig edierten Berichten der Einsatzgruppen der deutschen Sicherheitspolizei in Polen im September und Oktober 1939 ist eine einzigartige  Dokumentation der deutschen Okkupation und ihrer Maßnahmen in den ersten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkriegs.
Im deutschen Feldzug gegen Polen 1939 folgten den Einheiten der vorrückenden Wehrmacht sieben „Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei“ in insgesamt 16 „Einsatzkommandos“ mit zusammen 2.700 Mann. Offiziell waren sie dem Heer unterstellt, inoffiziell erhielten sie ihre Weisungen von Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der sie beauftragt hatte alle reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe“ zu bekämpfen sowie  die polnische Intelligenz weitgehend zu „vernichten“. Die Opferzahlen können bis heute nur annähernd geschätzt werden, bis Frühjahr 1940 ist von über 60.000 Toten auszugehen. Der zentrale Quellenkorpus zu den Einsatzgruppen wird durch deren Berichte gebildet. In den Texten selbst werden unter anderem die eigenen Übergriffe in Polen beschrieben, Lageanalysen und Beobachtungen aus den besetzten Gebieten vorgelegt und  zahlreiche Kontakte mit lokalen Honoratioren und „volksdeutschen“ Einwohnern beschrieben. Bezüglich des Themas deutsche Minderheit in Polen kommt in den Berichten ein wichtiges Merkmal zum Vorschein und zwar die Tatsache, dass diese Minderheit keinesfalls uniform organisiert und wie die Reichsgesellschaft gleichgeschaltet war. Verschiedene Gruppen, die teilweise dem Nationalismus ablehnend gegenüberstanden – besonders hervorgehoben wird in den Berichten immer wieder die evangelisch-augsburgische Kirche unter ihrem Landesbischof Julius Bursche, der der sich und die Seinen als evangelische Polen mit deutschen Wurzeln betrachtete –  galt es im Blick zu behalten und im Sinne einer künftigen Herrschaft im Lande für die eigenen Zwecke „anzuleiten“.
Das Buch versammelt erstmals sämtliche erhaltenen Berichte und erschließt sie mittels umfassender Kommentare und Register. Aufgenommen wurden Tages- und Wochenmeldungen, aber auch gesonderte Meldungen über den Kirchenbesuch in Westpreußen sowie die Situation jenseits der deutsch-sowjetischen Grenze. Für diese umfassende Sammlung wurden relevante Archive in Deutschland, Polen und der Ukraine ausgewertet. Dazu kommen drei weitere Dokumente aus dem Russischen Militärarchiv Moskau: Eines ist ein „Vorschlag für den Einsatz der Geheimen Staatspolizei und des SD RFSS im Falle Polen (ohne Danzig)“ und stellt mithin eine Überlegung für die Verwendung der Einsatzgruppen nach Kriegsausbruch dar. Das Dokument ist undatiert, entstand aber offensichtlich vor Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts am 23. August 1939. Die beiden anderen Texte listen für den Warthegau und Ostoberschlesien die Anzahl der jüdischen Bevölkerung in  einzelnen Orten auf und geben Auskunft über die eingesetzten Judenräte.

Die Berichte der Einsatzgruppen aus Polen 1939. Vollständige Edition, hrsg. von Stephan Lehnstaedt und Jochen Böhler, Berlin 2013, 480 S., EUR 24,00 ISBN978-3-86331-138-4

22
Apr
Tagung
Workshop „Infrastructures of Memory. Actants of Globalisation and their Impact on German and Polish Memory Culture”
Mehr lesen