Władysław Bartoszewski ist tot. Der Historiker und Gestalter des deutsch-polnischen Dialogs starb im Alter von 93 Jahren

Am Freitag den 24. April 2015 starb in Warschau der Historiker und Politiker Władysław Bartoszewski. Jahrzehntelang repräsentierte er wie kaum jemand anderer die deutsch-polnische Verständigung.

Seine für den Montag vorbereitete Rede anlässlich der deutsch-polnischen Regierungskonferenz unter der Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Premierministerin Ewa Kopacz konnte er nicht mehr persönlich halten.
Seinem Engagement im deutsch-polnischen Dialog ging eine außergewöhnliche Biografie voran. Schon seit den ersten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde der damals erst siebzehnjährige Bartoszewski in traumatische Ereignisse des 20. Jahrhunderts hineingezogen. Bereits im September 1939 beteiligte er sich an der zivilen Verteidigung von Warschau gegen Truppen der  Wehrmacht. Ein Jahr später wurde er festgenommen und verbrachte mehr als ein halbes Jahr im deutschen KZ-Lager Auschwitz. Seine Erlebnisse dienten später der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) als Informationsquelle über den Terror in den Konzentrationslagern. Dem Widerstand schloss sich Bartoszewski nach seiner Entlassung aus Auschwitz an, zu der es aufgrund der Initiative des Roten Kreuzes kam.
Bartoszewski gehörte zu den Initiatoren und Hauptorganisatoren der Organisation Żegota, die seit Ende 1942 im besetzten Polen im Auftrag der polnischen Exilregierung verfolgten Juden Hilfe zukommen ließ. Hier organisierte Bartoszewski auch die Unterstützungsaktionen für den Aufstand im Warschauer Ghetto. Am Warschauer Aufstand von 1944 beteiligte er sich selbst aktiv. Kurz nach dem Krieg engagierte er sich bei Maßnahmen für die Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen. Als Angehöriger der Armia Krajowa und später der Opposition gegen die kommunistische Machtbildung wurde er jedoch bald Opfer stalinistischer Repressionen. Wegen einer angeblichen Spionage verbrachte er die Jahre 1946 und 1954 überwiegend im Gefängnis, auch nach der Entlassung und Rehabilitation blieb er Objekt des Interesses der Staatssicherheit. Seit der Mitte der 1950er Jahre hat er trotzdem seine gesellschaftliche, organisatorische, intellektuelle und schriftstellerische Tätigkeit entwickelt und sich für die Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Polen wie international eingesetzt. Zudem engagierte er sich zunehmend auf der Seite der Opposition, trat der Solidarność bei und wurde nach der Verhängung des Kriegszustandes in Polen in Dezember 1981 ähnlich wie andere führende Oppositionelle für mehrere Monate interniert.
Nach den politischen Veränderungen in Polen hatte Bartoszewski zahlreiche wichtige Funktionen inne. Nach der Amtszeit als Botschafter in Österreich war er zweimal – 1995 und 2000/2001 – polnischer Außenminister sowie zuletzt Staatssekretär und Beauftragter für internationalen Dialog in den Regierungskabinetten von Donald Tusk und Ewa Kopacz.     
Als Historiker und Autor beschäftigte sich Bartoszewski vor allem mit der Geschichte der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, des Holocausts, des Widerstandes, aber auch mit der jüdischen Geschichte und der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. Als Hochschullehrer betätigte er sich nicht nur in Polen, sondern auch international – unter anderem in den 1980er Jahren als Gastprofessor an deutschen Universitäten (München, Eichstätt, Augsburg). Zu seinen zahlreichen hohen Auszeichnungen, die  er u.a. neben Polen auch in Deutschland und Israel erhielt, reihen sich akademische Ehren, darunter die Ehrendoktorwürden der Universitäten in Augsburg und Marburg.
Der Untertitel seines auf Deutsch und Polnisch erschienenen Buches „Herbst der Hoffnungen: Es lohnt sich, anständig zu sein“ (1983), wird bei verschiedenen Gelegenheiten zu Recht als Bartoszewskis Credo herangezogen. Dies belegte schließlich auch die Offenheit, mit der er die deutsch-polnische Verständigung als einer der führenden Akteure mitgestaltet hat.

Foto: Władysław Bartoszewski (1922–2015) bei seinem Auftritt im Deutschen Historischen Institut Warschau im Februar 2010.

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