Kartografie und Grenzziehung im Zwischenkriegseuropa

Die Kartografie des Zwischenkriegseuropas und ihre Geografen waren Gegenstand des ersten Vortrags in der DHIW-Außenstelle Vilnius im Jahr 2019, der in Zusammenarbeit mit dem Litauischen Historischen Institut geplant worden war.

Prof. Dr. Maciej Górny, wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHI Warschau sowie am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften, hielt am 28. Januar den Vortrag zu diesem Thema. Seine Intention war es, zum Nachdenken über die kartografischen Darstellungsmethoden im Zwischenkriegseuropa zu motivieren. In seiner faktenreichen Darstellung zeigte er, dass die Übersetzung einer Statistik in die Sprache der Kartografie keinesfalls eine rein technische Angelegenheit sei. Er betonte, dass beispielsweise Karten, die ethnische Mehrheiten abbilden, durch die Verwendung von unterschiedlichen kartografischen Werkzeugen, Symbolen und Farben instrumentalisiert werden könnten.

Darüber hinaus betonte der Vortragende, auch nicht-ethnische Faktoren seien für die Gestaltung der Nachkriegsgrenzen durchaus von Bedeutung. In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass eine staatliche Einteilung vielfach auch anhand einer Analyse der Flora erfolgt sei. Auf diese Weise sei in der Zwischenkriegszeit die Idee der biologischen Grenzen entstanden. Górny erläuterte, dass der polnische Geograf und Kartograf Eugeniusz Romer bereits im Jahr 1919 über die botanischen Grundlagen der Grenzziehung gesprochen habe. Von ihm sei die Buche als eine westeuropäische Baumart interpretiert worden, die die Zugehörigkeit zum westlichen Teil Europas symbolisiert habe.

Abschließend argumentierte Górny, dass in den kartografischen Debatten der Zwischenkriegszeit, insbesondere in denen um 1919, eine idealistische Perspektive dominiert habe, die auf der Idee eines Selbstbestimmungsrechts der Nationalitäten basiere. Dieser signifikante Aspekt sowie die Frage nach einer möglichen Instrumentalisierung der Kartografie standen im Zentrum der anschließenden Diskussion mit dem Publikum.

Maciej Górny ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2014 ist er zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHI Warschau beschäftigt. 2015 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Zuletzt erschien: Kreślarze ojczyzn. Geografowie i granice międzywojennej Europy [Vaterlandszeichner. Geografen und die Grenzen Zwischenkriegseuropas] (Warschau 2017).

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