Warum und wie soll man Schulbücher für Geschichte
in transnationaler Perspektive schreiben?

Am DHI Warschau fand am 22. Februar 2018 eine Vorstellung des in deutsch-polnischer Zusammenarbeit entstandenen Schulbuchs „Europa – Unsere Geschichte“, Bd. 2: Neuzeit bis 1815 mit Publikumsgespräch statt.

Der zweite Band des Schulbuchs Europa – Unsere Geschichte erscheint zu einer Zeit, da in Polen wieder grundsätzlich darüber debattiert wird, wie Geschichte an den Schulen unterrichtet werden soll: Was macht „unsere“ Geschichte aus und welches Wissen darüber soll vermittelt werden? Was hat die Geschichte der eigenen Nation mit der Europas und der Welt zu tun?
Die Antworten, die das im Herbst 2017 erschienene Schulbuch auf solche Fragen zu geben versucht, wurden bei einer Buchvorstellung am DHI Warschau am 22. Februar 2018 zur Diskussion gestellt. Nach der Begrüßung durch den Direktor des DHI Warschau Miloš Řezník und den deutschen Botschafter in Polen Rolf Nikel erläuterten Teilnehmer der Projektgruppe die Leitideen des Bandes und ihre didaktische und mediale Umsetzung.
Der Ko-Vorsitzende des Expertenrats für das deutsch-polnische Projekt „Schulbuch Geschichte“ Michael G. Müller und der Ko-Vorsitzende der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission Hans-Jürgen Bömelburg betonten, das Lehrwerk Europa – Unsere Geschichte wolle keine deutsch-polnische Beziehungsgeschichte schreiben, sondern deutschen und polnischen Schüler transnationale Perspektiven auf die gemeinsame, die europäische und die globale Geschichte anbieten. Das Projekt sei geleitet von den Grundprinzipien, Geschichte „parallel“ zu erzählen, die wechselseitige Verflechtung zu verdeutlichen und dies auch an der Geschichte bestimmter Regionen wie etwa Schlesien zu illustrieren. Eckhardt Fuchs und Igor Kąkolewski als wissenschaftliche Koordinatoren des deutsch-polnischen Projekts „Schulbuch Geschichte“ illustrierten – auch an konkreten Beispielkapiteln von Band 2 – das Neuartige an dem Konzept des Schulbuchs. Seine Multiperspektivität beinhalte auch, kontroverse Darstellungen bestimmter historischer Sachverhalte abzubilden. Zusammen mit dem sogenannten „Überwältigungsverbot“ (keine „Überrumpelung“ der Schüler im Sinne erwünschter Meinungen, keine zu starke Emotionalisierung) solle dies den Schülern ermöglichen, sich selbstständig ein Urteil zu bilden.
Aus den Darstellungen der Vertreter der beiden beteiligten Verlage Frauke Hagemann (Eduversum) und Andrzej Dusiewicz (Wydawnictwa Szkolne i Pedagogiczne WSiP) wurde deutlich, wie kompliziert und zeitaufwändig die Umsetzung eines solchen transnationalen Schulbuchprojekts ist. Unterschiedliche curriculare Vorgaben in beiden Ländern, die selbstgewählte Prämisse einer vollständigen Parallelität beider Sprachausgaben ebenso wie interkulturelle Unterschiede und abweichende, teils kontroverse Beurteilungen historischer Ereignisse und Personen wurden hier als Hauptgründe genannt. Die im Publikum zahlreich vertretenen Didaktiker und Geschichtslehrer beklagten, dass die Vorzüge und Innovationen des Lehrwerks (etwa sein im Vergleich zu herkömmlichen polnischen Schulbüchern großer Quellenreichtum und die multiperspektivische Darstellung) in einer schulischen Realität, die von knapper Unterrichtszeit und mangelnden didaktischen Freiräumen geprägt sei, leider nicht immer zum Tragen kämen. Insgesamt dominierten jedoch deutlich die Stimmen, die den neuartigen Ansatz des Lehrwerks lobten und die große Bedeutung des Projekts nicht nur für die historische Bildung der Schüler, sondern für die europäische Erinnerungskultur insgesamt hervorgehoben. 

Zur Publikation:

Europa – unsere Geschichte. Hrsg. von der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission in Zusammenarbeit mit dem Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig und dem Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften.  Bd. 2: Neuzeit bis 1815. Wiesbaden: Eduversum; Warszawa: WSiP 2017. 256 Seiten. ISBN 978-3-942708-31-9.

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