Landes- und Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Kontaktbereich - verbindend oder trennend?

Kolloquium

Fr. 18.10.2002 | 15:00 -
Sa. 19.10.2002 | 16:00 Uhr
Słubice

Landes- und Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Kontaktbereich - verbindend oder trennend?

Kolloquium des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 18./19. Oktober 2002 in Słubice (Collegium Polonicum)

In den letzten 1-2 Jahren sind von den mit der Landes- und Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Kontaktbereich beschäftigten Historikerinnen und Historikern zunehmend kritische Untertöne und Polemiken über den Stand der landesgeschichtlichen Forschungen bei dem jeweiligen Nachbarn zu lesen gewesen.1 In vergleichbarer Weise betrifft dies auch einen anderen Bereich der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte, nämlich die Beschäftigung mit der polnischen Politik gegenüber den Deutschen in Polen 1945-1950 und der Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung.2 Diese Bereiche wurden zuletzt auch miteinander verknüpft, indem der in Deutschland betriebenen Landesgeschichte u.a. eine weitgehende Aussparung insbesondere der Zeit des Nationalsozialismus und der antipolnischen und antijüdischen NS-Politik vorgeworfen wurde.3

Die weitgehend in polnischer Sprache veröffentlichten Stimmen wurden bisher nicht auf einem deutsch-polnischen Forum diskutiert, obwohl sie Grundfragen der ostdeutschen bzw. westpolnischen Regionalgeschichte bzw. der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte betreffen und in dieser Offenheit bisher nicht geäußert wurden. Zum Nachdenken Anlaß gibt zudem der Eindruck, daß in ihnen teilweise ein Rückfall in nationale Argumentationsmuster anzutreffen ist, in denen "wissenschaftliche Vertreter" der einen Nation gegenüber "Vertretern" der "anderen Seite" Beweise zu führen suchen. Eine im Erscheinen begriffene Sondernummer der Zeitschrift "Borussia" belegt ebenfalls eindrücklich, daß in der deutsch-polnischen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Regional- und Beziehungsgeschichte zur Zeit erhebliche Irritationen über gemeinsame oder wechselseitige Versäumnisse, nicht aufeinander abgestimmte Forschungsprogramme und eine ausbleibende wechselseitige Rezeption bestehen.4

Das geplante Kolloquium möchte Defizite ansprechen und zu einem Austausch auch in schwierigen Fragen beitragen. Der Fokus der Analyse wird dabei auf methodischen Problemen der Landesgeschichte liegen, da

  1. die Diskussion bisher insbesondere mit regionalhistorischen Argumenten geführt wurde und
  2. Fragen einer angemessenen regionalen Terminologie im Vordergrund standen.

Zugleich soll jedoch insbesondere die Frage gestellt werden, inwieweit in der - erstmals von politischen Rücksichtnahmen freien - deutschen und polnischen Landes- und Regionalgeschichte der letzten 10-15 Jahre die konfliktreiche und traumatische Beziehungsgeschichte der Jahre 1939-1949 angemessen berücksichtigt wurde.

Um den Spezifika der jeweiligen Regionalgeschichtsschreibung(en) ausreichend Raum zu lassen, soll das Kolloquium in zwei Teile geteilt werden. Zunächst sollten in einer Einführung der gegenwärtige Stand und allgemeine Fragen der Landes- und Beziehungsgeschichte erörtert werden.

In einem zweiten Teil wird die Diskussion anhand einzelner Landesgeschichten konkretisiert und vertieft werden. Hierfür wurden Leitfragen für die jeweiligen Referenten und Kommentatoren erstellt (s. Anlage). Diese Konkretisierungen und Konsequenzen für die künftige methodische regionalgeschichtliche Arbeit sollen abschließend diskutiert werden.

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1) Jörg Hackmann, Potrzeba zmiany. Głos za rewizją w uprawianiu historii Prus Wschodnich. In: Borussia 22 (2000), S. 64-72; ders., Deutschlands Osten - Polens Westen als Problem der Geschichtsschreibung. Anmerkungen zu einer vergleichenden Historiographiegeschichte. In: Deutschlands Osten - Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Hg. v. Matthias Weber. Frankfurt a.M. 2001 (Mitteleuropa - Osteuropa, 2), S. 209-235 (umfangreichere deutschsprachige Fassung mit wissenschaftlichem Apparat); Janusz Jasiński, Kilka uwag o artykule Jörga Hackmanna "Potrzeba zmiany". In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie (2001), nr 2 (232), S. 277-281; Ders., W obronie pojęcia "Warmia i Mazury". In: Zapiski Historyczne 66 (2001), H. 4, S. 165-175.

2) Andrzej Sakson/Włodzimierz Borodziej/Claudia Kraft, O polsko-niemieckiej edycji źródeł dotyczących losów Niemców w Polsce w latach 1945-1950. In: Przegląd Zachodni 57 (2001) H. 3, S. 179-198.

3) Włodzimierz Stępiński, Kwestia dziedzictwa kulturowego ziem pruskich. In: Komunikaty Mazursko-Warmińskie (2002), nr 1 (235), S. 123-136; ders., Konserwatyzm i etnocentryzm jako składowe niemieckiego odkrywania przeszłości Pomorza Zachodniego u schyłku naszego stulecia. In: Pogranicze polsko-niemieckie. Przeszłość. Teraźniejszość. Przyszłość. Szczecin 2001, S. 225-235.

4) Sonderheft Borussia. Das zweisprachige Heft wird den Teilnehmern nach Erscheinen im August/September 2002 zugesandt werden.

Landes- und Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Bereich - verbindend oder trennend?

Veranstalter: Deutsches Historisches Institut Warschau

Ort: Collegium Polonicum in Słubice (Anschrift: ul. Kościuszki 1, PL 69-100 Słubice, Tel.: 0048-(0) 95-7592400, Fax: 0048-(0)95-7592455, www.cp.euv-frankfurt-o.de; Unterkunft: ul. Pilsudskiego 14

Programm

Freitag, 18. Oktober 2002

15.00 Einführung/Begrüßung (Klaus Ziemer, Warszawa)
Landes- und Regionalgeschichte im deutsch-polnischen Dialog - Grenzen, Gefahren und Chancen eines binationalen Ansatzes (Hans-Jürgen Bömelburg, Warszawa)
Koreferat (Edward Włodarczyk, Szczecin)
Diskussion
Gemeinsames Abendessen

Samstag, 19. Oktober 2002

9.00
Landesgeschichte I: Pommern und Preußenland
Deutsch-polnische historiographische Kontroversen in den Forschungen zur pommerschen und preußenländischen Landesgeschichte (Bogdan Wachowiak, Poznań)
Leitvorstellungen und Wertmaßstäbe der pommerschen und preußenländischen Landesgeschichte in Deutschland und Polen. Eine kritische Bilanz (Werner Buchholz, Greifswald)
11.00 Pause
11.15
Landesgeschichte II: Schlesien
Leitvorstellungen und Wertmaßstäbe der schlesischen Landesgeschichte in Deutschland und Polen. Eine kritische Bilanz (Matthias Weber, Oldenburg)
Koreferat (Marek Czapliński, Wrocław)
13.30 Mittagsimbiß
14.30 Abschlußdiskussion (Ende gegen 16.00)

Leitfragen für die landesgeschichtlichen Einführungen (Samstag)

1. Fand aus Ihrer Sicht in den letzten 10-15 Jahren eine Verwissenschaftlichung der Landesgeschichte (Einrichtung von Lehrstühlen bzw. Instituten und Museen) statt? In welchen Bereichen sehen Sie einen Nachholbedarf? Wie beurteilen Sie die Sprach- und Literaturkenntnisse unter deutschen und polnischen Landeshistorikern?

2. Zur Historiographie: Sollten deutsche "Ostforschung" und polnischer "Westgedanke" (polska myśl zachodnia) auch im Bereich der Landesgeschichte vergleichend untersucht werden? Welche Fragestellungen erscheinen Ihnen hier sinnvoll bzw. nicht sinnvoll? Gibt es Problemkomplexe, die nicht vergleichbar sind?

3. Halten Sie die Frage, ob die Landesgeschichte nach 1989 einzelne Fragestellungen oder Begrifflichkeiten abstreifen bzw. modifizieren sollte, für sinnvoll? Was ist übernommen, was eher modifiziert, was abgestreift worden? Fand eine Diskussion dazu in Ihrer Landesgeschichte statt? Wo sehen Sie Tendenzen zu einer konjunkturell bedingten Anpassung von Positionen ohne wissenschaftliche Fundierung?

4. Zur Begriffsgeschichte: Inwieweit halten Sie im Bereich der Landesgeschichte die Kategorien von "Polentum" (polskość) und "Deutschtum" (niemieckość) für sinnvoll? Halten Sie es für sinnvoll, statt dessen von allgemeinen Begriffen und Prozessen auszugehen und moderne sozialgeschichtliche Fragestellungen, z.B. nach dem Grad von "Inklusion" und "Exklusion", nach "Akkulturation und Assimilation" zu verwenden? Beobachten Sie eine zunehmende Verwendung entsprechender Modelle?

5. Welche Themen und Fragestellungen sehen Sie in der deutsch- bzw. polnischsprachigen Historiographie zu Ihrer Region unter- bzw. überrepräsentiert?

6. Wie sollte die Regionalgeschichte mit Nationalsozialismus, Verfolgungen, Deportatio-nen und Zwangsaussiedlungen umgehen? In welchen Bereichen sehen Sie Defizite? Wie beurteilen Sie den Stand der regionalen Forschungen zur Verfolgung von Juden, Polen und der deutschen Opposition während des Nationalsozialismus, zu den Zwangsarbeitern und zur Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung nach 1945?

7. Wo sehen Sie die Gefahren und Chancen eines landeshistorischen Ansatzes in Ihrer Region? Gibt es Bereiche, in denen Sie einen Dialog zwischen nationaler und regionaler Geschichte für sinnvoll und besonders befruchtend halten? Findet dieser Dialog ausreichend statt? Wie sollte ein solcher Dialog organisiert werden?

8. Welche Rolle spielen die Rahmenbedingungen der Wissenschaftsorganisation für die landesgeschichtliche Praxis? In welchem Maße werden Lehrstühle und Institute von außerwissenschaftlichen Kriterien (Stiftungslehrstühle und -programme, inhaltliche Einflußnahme durch Stipendien und Stipendienprogramme, Nachfragemacht des Buchmarktes) bestimmt?

23
Apr
Vortrag
Abgesagt: Prof. Susannah Eckersley (Newcastle): Museums as democratic public space? Memory, Migration and Belonging in Germany
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