Der Kalte Krieg als symbolischer Konflikt um das Projekt der Moderne (Panel beim Kulturgeschichtetag 2009) - Perspektiven einer Kulturgeschichte des Kalten Kriegs: Grenzübergreifende symbolische Konflikte um das Projekt der Moderne nach 1945

Conference

Di. 15.09.2009 | 10:00 -
Di. 15.09.2009 | 18:00 Uhr
Linz

Nachdem die Geschichte des Kalten Kriegs lange Zeit überwiegend in den Kategorien einer eher traditionellen Historiographie internationaler Beziehungen behandelt wurde, deutet sich im Zuge der Übernahme kulturhistorischer Theorieansätze und transnationaler Analyseperspektiven eine deutliche Erweiterung zeithistorischer Forschung an. Ziel des geplanten Panels ist es, diese Entwicklung zu diskutieren und zu befördern, indem exemplarische Forschungsprojekte einer Kulturgeschichte des Kalten Kriegs vorgestellt werden. Gemeinsamer Ausgangspunkt der Vorträge ist ein Verständnis des Ost-West-Konflikts als ideologischem Antagonismus konkurrierender Modernisierungsprojekte; die Auseinandersetzung der Supermächte um internationalen Einfluss entfaltete sich also immer auch als symbolischer Konflikt um den Anspruch, die überlegene Umsetzung der Wert- und Zielvorstellungen des „kulturellen Programms und politischen Projekts der Moderne“ (S.N. Eisenstadt) zu verkörpern. Indem diese politisch-kulturelle Dimension stärker als bisher beachtet wird, öffnet sich der analytische Blick auf vier Dimensionen der internationalen Zeitgeschichte nach 1945.

Erstens werden Fragen der Geschichte internationaler Beziehungen in ein neues Licht getaucht; denn eine kulturhistorische Perspektive macht deutlich, dass Formen zwischenstaatlicher Interaktion (z.B. internationale Konferenzen oder Organisationen) immer auch Foren für Auseinandersetzungen um Symbol- und Deutungsmacht waren. Zweitens zeigt sich aus dieser Perspektive die Relevanz alternativer, vermeintlich außerpolitischer symbolischer Arenen, auf denen die Supermächte versuchten, den Nachweis der größeren Modernität ihres politischen und ökonomischen Systems zu erbringen. Drittens wird die Frage aufgeworfen, inwieweit diese grenzübergreifende Auseinandersetzung in den betroffenen Gesellschaften eine spezifische Kultur des Kalten Kriegs hervorgebracht hat und welche Gemeinsamkeiten sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs trotz aller Unterschiede feststellen lassen. Damit lässt diese Kulturgeschichte des Kalten Kriegs viertens auch eine Unterscheidung in nationale und inter- bzw. transnationale Geschichte hinter sich und befördert die Entgrenzung geschichtswissenschaftlicher Forschung.

 

Grenzübergreifende Akteursnetzwerke und symbolische Politikformen im späten Kalten Krieg. Polens demokratische Opposition als transnationaler Akteur
Robert Brier, DHI Warschau

Die Präsentation greift mit den internationalen Beziehungen ein eher klassisches Forschungsfeld der Historiographie des Kalten Kriegs auf. Dieses wird jedoch um ein kulturhistorisches Politikverständnis erweitert, das insbesondere auf die Bedeutung von Legitimitätskonflikten abhebt und die Rolle transnationaler Akteure in die Untersuchung einbezieht. Im Zentrum des Vortrags steht die Internationalisierung politischer Konflikte im Polen der späten Siebziger- und Achtzigerjahre. Dabei soll gezeigt werden, dass die polnische Opposition stets darum bemüht war, ihren Konflikt mit der kommunistischen Partei auch auf die internationale Bühne des Kalten Kriegs zu tragen. Vor den Foren einer transnationalen Öffentlichkeit (internationale Konferenzen und Organisationen, Staatsbesuche, internationale NGOs, Medien etc.) sollte dadurch der Anspruch der kommunistischen Machthaber, Teil eines grenzübergreifenden linken Modernisierungsprojekts zu sein, durch symbolische Politikformen diskreditiert werden. Auf diese Weise gelang es zumindest teilweise, das polnische Regime aus dem Kreis der legitimen Teilnehmer internationaler Politik symbolisch auszuschließen; damit wurde ein erheblicher internationaler Druck aufgebaut, der einen wichtigen Beitrag zur Destabilisierung des Jaruzelski-Regimes und damit zu den Ereignissen von 1989 leistete.

 

„Die weiblichen sowjetischen Roboter sind von der Bildfläche verschwunden ...“. Sport und Geschlecht im Kalten Krieg
Stefan Wiederkehr, DHI Warschau

Dieser Vortrag wendet sich den Olympischen Spielen und damit einem der zentralen Felder zu, auf dem sich der Kalte Krieg als ideologische Auseinandersetzung um die Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Modernisierungsprojekte symbolisch manifestierte. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs wurde seit dem ersten Auftritt der Sowjetunion bei Olympischen Spielen 1952 das bessere Abschneiden in der Nationenwertung bei sportlichen Großveranstaltungen als Indikator für die Überlegenheit des jeweiligen politischen Systems interpretiert. Entsprechend kam es zu einem Wettrüsten im Bereich des Sports – zum Aufbau von Talentförderungssystemen, zur Verwissenschaftlichung der Trainingsmethoden und auch zur, zumindest in den sozialistischen Ländern staatlich organisierten, Indienstnahme der (Sport)medizin für immer ausgefeilteres Doping. Für den Frauensport ist seit seinen Anfängen ein komplexes Wechselspiel von Inklusion und Exklusion zu beobachten. Bot der Sport Frauen einerseits ein emanzipatorisches Potential, so bildete  er andererseits zugleich stets ein Feld der Inszenierung von Geschlechtsunterschieden. In vermutlich keinem anderen gesellschaftlichen Bereich ist die Segregation der Geschlechter bis heute so vollständig verwirklicht wie im Sport. Wie relevant die Frage nach der sozialen Konstruktion von Geschlecht im Sport – durch Medien, Regelwerke und medizinische Experten – ist, wurde in der jüngeren Forschung zwar erkannt. Eine Antwort, die auch sozialistische Gesellschaften und die Blockkonfrontation des Kalten Krieges in den Blick nimmt, bildet aber weiterhin ein Desiderat.

 

Die Konsumentenbewegung im kommunistischen Polen jenseits des Narrativs des Kalten Kriegs
Małgorzata Mazurek, ZZF Potsdam

Dieser Vortrag stellt das ökonomische Feld der Austragung von Modernisierungskonflikten im Kalten Krieg ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. Seit längerer Zeit wird angenommen, dass ein Grund für den Zusammenbruch der Planwirtschaften des Ostblocks in der Nichtbeachtung von Fragen des Konsums zu sehen ist. In Polen folgte der Parteistaat einem Produktionsmodell, das zwar bisweilen Lippenbekenntnisse zugunsten von Verbraucherinteressen ablegte, letztlich aber auf die Erfordernisse der Produktion fokussiert blieb. 1981 war jedoch im Zuge der Herausforderung der bestehenden Ordnung durch die Solidarność eine organisierte Verbraucherbewegung (Federacja Konsumentów) entstanden. Im Übergang zur Demokratie entwickelte sich in Polen damit eine Form der Verbraucherorganisation, der es weniger um die relativen Vorteile von Kapitalismus und Kommunismus für die Befriedigung von Konsumentenwünschen ging, sondern um die Förderung einer weniger offen ideologischen Definition der Rechte und des Schutzes von Konsumenten auf der globalen Ebene. Der Vortrag zeigt also, dass polnische Verbraucher und die sie sowohl innerhalb als auch jenseits des Staats repräsentierenden Experten in der Lage waren, komplexere Handlungsformen zu entwickeln, als die negativen Formen wie Frustration und die Suche nach alternativen Formen der Bedürfnisbefriedigung, die sonst mit einer Planwirtschaft in Verbindung gebracht werden. Der Vortrag stellt somit auch das grundlegende Narrativ des Kalten Kriegs infrage, indem er nationale und internationale Diskurse über lokale Konsumenten-bewegungen in ihrem globalen Kontext analysiert.

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