(Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas, Berlin we współpracy z Niemieckim Instytutem Historycznym w Warszawie i Mission Historique Francaise en Allemagne, Getynga)
Dr. Bernhard Struck, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte
Europas (BKVGE)
Dr. Christophe Duhamelle, Mission Historique Francaise en Allemagne (MHFA)
Dr. Andreas Kossert, Deutsches Historisches Institut Warschau (DHI)
Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas (BKVGE), Freie Universität Berlin, Koserstr. 20, 14195 Berlin
Programm
Freitag, 12. Mai 2006
Grenzen ziehen
9.30 Uhr
Begrüßung: Arnd Bauerkämper (BKVGE)
Einführung: Bernhard Struck (BKVGE)
10.00 Uhr
Sektion 1: Erfindung und Aneignung von Grenzen
Moderation: Christophe Duhamelle (Göttingen)
Ulrike von Hirschhausen (Leipzig): Die Konkurrenz um Verortung. Raumentwürfe zwischen ‚baltischen Provinzen’ und ‚Latvia’, 1860-1918
Andrij Portnov (Dnjepropetrowsk): Inventing the Boundaries of Ukraine in late-18th and 19th Century
Torben Kiel (Greifswald): Die Grenzen des deutschen Staates in der Revolution 1848/49
11.00 Uhr Pause
11.15 Uhr
Fortsetzung von Sektion 1
Lutz Häfner (Bielefeld): Von der frontier zur linearen Grenze: Visionen, Repräsentationen und Bedeutung Sibiriens als innerrußländischer Grenzraum und europäische Außengrenze
Stephanie Schlesier (BKVGE): Die unsichtbare Grenze. Die Annexion von 1871 und ihre Auswirkungen auf die Region Lothringen bis zum 1. Weltkrieg
Kommentar: Manfred Hildermeier (Göttingen/BKVGE)
13.00 Uhr Mittagessen
15.00 Uhr
Sektion 2: Wissenschaft und Grenzziehungen
Moderation: Andreas Kossert (Warschau)
Monika Baar (Essex): Nationale Historiographie und Grenzen im 19. Jahrhundert. Die Fallbeispiele J. Lelewel, S. Daukantas, F. Palacky
Riccardo Bavaj (St. Andrews): Kulturraumwissenschaft als Grenzverteidigung: Westfälische Raumkonstruktionen während der Reichsreformdebatte der Zwischenkriegszeit
Kerstin Jobst (Hamburg): "Asien auf der Krim". Die Kategorien "Orient" und "Okzident" im europäischen Krim-Diskurs vor dem Ersten Weltkrieg
Kommentar: Morgane Labbé (Paris)
Samstag, 13. Mai 2006
Ausgrenzen und Erleben
9.30 Uhr
Sektion 3: Grenzen wahrnehmen, erleben, symbolisieren
Moderation: Andreas Kossert (Warschau)
Martina Krocová (BKVGE/Prag): Die Wahrnehmung von Grenzen. Das Beispiel Sachsen-Böhmen von 1780 bis 1850
Martin Klatt (Aabenraa): Shifting Borders in a Border City. Language, Culture, Social Status, and National Identity in Flensburg, 1800-2005
Günter Riederer (Marbach am Neckar): Staatsgrenze, touristisches Ausflugsziel und Ort der Begegnung zweier Nationen. Deutsche und französische Grenzerfahrungen am „Col de la Schlucht“ im Elsaß, 1871-1918
10.30 Uhr Pause
10.45 Uhr
Fortsetzung von Sektion 3
Markus Krzoska (Mainz): Das Egerland als Grenzgebiet im 19. Jahrhundert
Kommentar: Christophe Duhamelle (Göttingen)
12.30 Uhr Mittagessen
14.00 Uhr
Sektion 4: Ausgrenzungen: Fremdheit und Konflikte
Moderation: Bernhard Struck (BKVGE)
Astrid Küntzel (Freiburg): Die Bedeutung von Fremden für die Nationalstaatsbildung: Köln als Grenzstadt in napoleonischer Zeit, 1798-1814
Celia Donert (Florenz): An Entangled History of Border Control: The Case of the “International Gypsy” in Czechoslovakia, 1918-1938
Oliver Schulz (Düsseldorf): Grenze, Grenzräume und die Entstehung nationaler Identität in einem multiethnischen Imperium: Bessarabien als Teil des Russischen Reiches, 1812-1918
15 Uhr Pause
15.15 Uhr
Fortsetzung von Sektion 4
Margarita Aleksahhina (Leipzig): Wahrnehmungen von Grenzformen in Ost-West-Perspektive. Nationalstaat Estland und russische Minderheit in der Zwischenkriegszeit, 1918-1940
Kommentar: Andreas Kossert (Warschau)
17.00 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation: Bernhard Struck
Kommentare: Arnd Bauerkämper, Christophe Duhamelle, Andreas Kossert
Konzept und Fragestellung
Europa als einen heterogenen und fragmentierten, gleichzeitig jedoch verbundenen Raum zu denken, bedeutet, über Europas Grenzen zu reflektieren. Grenzen werden zum einen verstanden als historisch variabel und veränderlich. Dies hat nicht zuletzt die Entwicklung innerhalb Europas seit dem Umbruch von 1989/91 gezeigt. Zum anderen werden Grenzen als polyvalent interpretiert, indem sie kulturell, national, sozial, konfessionell oder ökonomisch bestimmt sein können. Dabei können die genannten grenzbildenden Faktoren miteinander konkurrieren. Sie schließen sich jedoch nicht notwendig aus, sondern können sich ergänzen und überlagern.
Ziel der Tagung ist der explizite Vergleich innereuropäischer
Grenzformen seit dem frühen 18. Jahrhundert bis in die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts. Zentral sind vor allem zwei Aspekte: zum einen die Frage nach der möglichen Spannung von lokalen und regionalen Grenzen gegenüber der Herausbildung nationaler Grenzen bzw. Grenzräume im Kontext von Nationalstaatsbildung; zum anderen mögliche Gegensätze von faktischen Grenzen und ihrer Wahrnehmung.
Die konkreten Leitfragen lauten:
Wie verhalten sich kulturelle, ökonomische sowie konfessionelle Grenzen und Grenzräume gegenüber den sich herausbildenden nationalstaatlichen Grenzen?
Sind kulturelle Homogenität und damit das Einebnen von kulturellen Grenzen - so die Lesart der Nationsbildung von Ernest Gellner und Eric Hobsbawm - erst Produkte des entstehenden Nationalstaats? Oder lassen sich kulturell einheitliche Regionen bereits vor dem 19. Jahrhundert und den zentralisierenden Bemühungen des modernen Nationalstaats ausmachen?
Durchschneiden oder überkreuzen lineare, nationale Grenzen vormoderne ökonomische, kulturelle oder soziale Grenzen oder überdauern letztere die Nationalisierung von Grenzen?
Welche kulturellen Praktiken, darunter Migration, Reise oder Ausübung einer Konfession konstituieren Grenzen und machen diese erfahrbar?
Wo, wann, in welchem Kontext werden Grenzen für Zwecke regionaler, lokaler oder nationaler Identitätsstiftung gezogen?
Wie verhalten sich Wahrnehmung und Imagination von Grenzen zu ihrer Faktizität?
Diesen Fragen folgend, steht der Vergleich von Grenzformen zwischen dem östlichen und dem westlichen Europa im Vordergrund. Hintergrund für den geographischen Fokus auf Ost- und Westeuropa ist die strukturelle Differenz eines in ethnischer, sprachlicher, konfessioneller und kultureller Hinsicht gegenüber dem westlichen Europa weitaus heterogeneren östlichen Europa. Produzierte diese Differenz, so die daran anschließende Frage, notwendigerweise Unterschiede in der Wahrnehmung von Grenzformen? Ein weiterer Aspekt für die Ost-West-Perspektive liegt in der Gegenüberstellung kontinentaler Imperien - des Zarenreiches, der Habsburger Monarchie, Preußens mit den polnischen Gebieten - und ihrer inneren wie äußeren Grenzbildung auf der einen Seite und den sich früh herausbildenden, westeuropäischen Nationalstaaten auf der anderen.