Besonderheiten der japanischen Geschichte

Für die japanische Geschichte sind Raum und Zeit weitaus wichtiger, als sich Europäerinnen und Europäer vorstellen können. Nicht nur brachte die Insellage viele Konsequenzen mit sich, die die historische Besonderheit unterstützten. Von der asiatischen und westlichen Geschichte trennte Japan auch ein spezifischer Zeitablauf. Erst Ende des 19. Jahrhunderts akzeptierten japanische Historikerinnen und Historiker die europäische historische Periodisierung. In Anlehnung an den Kulturtheoretiker Shūichi Katō versuchte W. Schwentker, Perioden der Offenheit in der japanischen Geschichte zu bestimmten, die sich abwechselten mit einer Art Abschottung gegenüber den äußeren Einflüssen.

Am 25. Januar organisierte die Prager Außenstelle des DHIW gemeinsam mit dem Collegium Carolinum, dem Leibniz GWZO Prag und dem Historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über Besonderheiten der japanischen Geschichte. Wolfgang Schwentker, ehemaliger Professor an der Universität Osaka, stellte Ausschnitte aus seinem neuen Buch vor und fügte einige Überlegungen zur Verflechtung Japans und Zentraleuropas bei.

Schwentkers Meinung nach helfe ein Perspektivwechsel von „Öffnung“ zu „Abgrenzung“ dabei, die Wendepunkte der japanischen Geschichte zu identifizieren. Der Wechsel habe oft mit politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und religiösen Veränderungen in Verbindung gestanden. Die erste Öffnung gegenüber Außen fand Schwentker in der Asuka und Nara-Zeit im späten 6. und 8. Jahrhundert, wo der Buddhismus in Japan eingeführt wurde. Der koreanische König habe dem japanischen Herrscher die bekannte Buddha-Statue geschickt. Bald darauf seien verschiedene buddhistische Schulen entstanden, deren religiöses Ziel war, die Welt als Leidensort zu überwinden. Die ersten großen Städte hätten als Herrschaftssymbole gegolten und auch das Straf- und Verwaltungsrecht sei nach chinesischem Vorbild implementiert worden. Dies habe sich im 9. Jahrhundert während der Heian-Ära geändert. Die diplomatischen Beziehungen zu China endeten, während sich die kulturelle Innovation in der Literatur fortsetzte. Das Bildungsbürgertum jedoch habe die sprachliche Selbstbestimmung betont und den privilegierten Zugang zu Akademien genossen. 

Eine der weiteren Öffnungen Japans stellte Wolfang Schwentker mit den Überseekreuzfahrten und der Eroberung Amerikas im 16. Jahrhundert fest. 1543 hätten portugiesische Seeleute als erste Europäer die Insel Tanegashima betreten. Da Japanische Herrschaftskreise auf einer Kriegertradition basiert hätten, hätten die von ihnen mitgeführten, in Japan unbekannten, Feuerwaffen große Aufmerksamkeit erregt. Später sei dann auf der Insel Dejima der Hafen von Nagasaki gegründet worden. ALs neues Handelszentrum habe der Hafen europäische Diplomaten, Händler, Ärzte, Gelehrte und Abenteurer angezogen, die nach der Entstehung von Shogunat und der Christenverfolgung ab 1614 unter der niederländischen Obmacht, respektive der Ostindischen Kompanie standen. Wie der Vortragende erklärte, war der Hafen von Nagasai fast zwei Jahrhunderte lang das einzige Fenster zu Welt. In den 1630er Jahren sei dann eine Reihe von Dekreten gefolgt, um die japanische Gesellschaft und Kultur von Außeneinflüssen zu isolieren.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts und mit dem Druck westlicher Mächte auf Japan, seinen Markt für europäische Waren zu öffnen, sei eine weitere Phase der Öffnung zu erkennen, erklärte Schwentker. Shogunen hätten keine Kraft mehr gehabt, ausländische Schiffe aufzuhalten und sahen sic gezwungen, neue Häfen zu öffnen. Das Ankern der Flotte unter Kommodore Perry 1853 im heutigen Tokio wurde symbolisch. Kontroversen darüber, wie auf die ausländische Invasion reagiert werden sollte, hätten zum Bürgerkrieg in Japan und zum Untergang des Tokugawa-Shogunats geführt. Ab 1868 modernisierte die Meiji-Restauration das Land nach dem westlichen Vorbild. In Medizin, Militär, Recht und Bildungswesen hätten sich deutsche Einflüsse durchgesetzt. Die Vertreter der Habsburgermonarchie seien zu Messen nach Yokohama gereist, wo böhmisches Glas, Textil- und Metallwaren angeboten wurde. Als Reaktion darauf hätte sich die nationalistische und imperialistische Bewegung mobilisiert, die die japanische Expansion nach Asien förderte. Laut Schwentker sei dies tatsächlich in den 1930er Jahren geschehen, nachdem Japan seine Großmachtposition gefestigt hatte. Japans Niederlage im zweiten Weltkrieg habe seine Militärherrschaft in Asien beendet und das Land einer erzwungenen Offenheit (und ionsbesondere amerikanischen Einflüssen) ausgesetzt.

Zum Schluss wies Wolfgang Schwentker auf den bekannten Toynbees Aufsatz über die Rolle Japans in der Weltgeschichte hin und betonte noch einmal die Insellage als geographische Herausforderung. Die vormoderne japanische Gesellschaft habe mit häufigen Erdbeben und Temperaturschwankungen kämpfen müssen; fast 7.000 Inseln mit vielen Bergen und Tälern, die geschlossene Orte bildeten, verhinderten lange Zeit eine staatliche Integration. Durch die Modernisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätten zwar manche natürliche Gegebenheiten überwunden werden können, sie habe allerdings auch neue Probleme mit sich gebracht, die bis heute andauerten. Die langfristige Stagnation erschüttere den optimistischen Glauben an ständigen Fortschritt, sodass sich die Gesamtgesellschaft heute eher wie das Ende der Illusionen anfühle.

 

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