Das Verständnis von Liebe und Ehe in Gesellschaft und Kirche seit dem Mittelalter

Im ersten Vortrag der Dienstagsvorträge im Winter 2022/23 widmete sich Klaus van Eickels (Universität Bamberg) den Veränderungen des Verständnisses von Liebe und Ehe in Gesellschaft und Kirche seit dem Mittelalter. In seinen Ausführungen sprach er davon, dass die Ehe u.a. als „Heilmittel gegen die Unzucht“ gesehen wurde, jedoch auch anderen „Zwecken“ dienen sollte. Ausgehend von mittelalterlichen Gelehrten und (Früh-)Scholastikern wie Hugo von St. Viktor zeigte van Eickels die Vielschichtigkeit in den Vorstellungen von „Ehe“, die (unter Aussparung des Sexuellen) unter anderem auch gleichgeschlechtliche Beziehungen als eben solch einen Lebensbund nicht vollkommen ausschlossen. Aufgrund der Notwendigkeit einer Ungleichheit beider Partner seien sie jedoch im Allgemeinen verworfen worden. Grundlegend sei es in damaligen Diskussionen etwa darum gegangen, inwiefern die Zeugung von Nachkommen das zentrale Element der Ehe sei. Dies habe unter anderem die Frage von reproduktiver Dysfunktionalität betroffen, wobei männliche und weibliche Unfruchtbarkeit unterschiedlich gehandhabt wurden. Im Allgemeinen, so konstatierte der Vortragende, sei in älteren Kirchenlehren sexuelles Verlangen als Strafe Gottes für den Sündenfall interpretiert worden; erst im späten 19. Jahrhundert habe eine Aufwertung menschlicher Sexualität auf theoretischer Ebene stattgefunden.

Gerade in den mittelalterlichen Diskussionen hätten Marienverehrung und die daraus folgenden Konsequenzen für Mutterschaft und ‚Keuschheit‘ sowie die Vorbildfunktion der Heiligen Familie eine bedeutende Rolle eingenommen. Sie führten etwa zur Diskussion darum, ob die Ehe Marias und Josephs ohne vollzogenen Geschlechtsakt rechtmäßig sei. Prof. van Eickels zeigte, dass in der longue durée Brüche im Denken katholischer (Laien-)TheologInnen zu erkennen seien. Diese umfasste u.a. die Frage des primären Zwecks und des Charakters der Ehe, d.h. die Priorisierung gegenseitiger Hilfe der Partner und/oder von Reproduktion, welche immer wieder neu verhandelt wurden – jedenfalls bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, das diese Frage klärte. In diesem Zusammenhang stand auch die Beobachtung, dass eine zunehmende Emotionalisierung der Gründe für eine Ehe zu ihrer Destabilisierung führte, was von der katholischen Kirche kritisiert wurde. Gerade die gesellschaftliche Praxis, aber auch der notwendige theoretische Klärungsbedarf wirkt(e) sich auf die Aushandlungen rechtlicher Fragestellungen (Ehe-, aber auch Erbrecht) aus. Der Vortragende argumentierte, dass die Entwicklungen im 20. Jahrhundert als Reaktion auf soziale Veränderungen und technische Neuerung verstanden werden können, die das reproduktive Verhalten der Menschen, darunter auch der Gläubigen, beeinflussten.

Nach dem inspirierenden Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, bei der unter anderem die folgenden Aspekte diskutiert wurden: (weibliche) agency bzw. die Auswirkungen der rechtlichen und theologischen Diskurse auf die Verdammung von häuslicher Gewalt, die Frage der „Verfügbarkeit der Frau“ in der Ehe und die damit eingehende Frage „ehelicher Pflichten“, und den Einfluss wissenschaftlicher Erkenntnisse auf das Verständnis von Partnerschaft und Reproduktion.

04
Apr
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