Die wundersame Welt der sprechenden Bilder

Fotos: Kęstutis Kurienius

Im Alltag sind wir so vielen Bildern ausgesetzt, dass wir sie oft kaum richtig wahrnehmen. Die Geschichte des Werbeplakats stand im Mittelpunkt des Montagsvortrags am 28. November. Valentin Groebner, Professor an der Universität Luzern, lud das Publikum auf eine Reise in die Wunderwelt der sprechenden Bilder ein. Die Veranstaltung der DHIW-Außenstelle Vilnius fand an der Fakultät für Geschichte der Universität Vilnius statt und wurde von Maria Drėmaitė moderiert.

Seinen Vortrag begann Valentin Groebner mit der Annahme, dass im 21. Jahrhundert alles ein Gesicht brauche: von Fundraising-Kampagnen über Konsumgüter bis hin zum nationalen Gedächtnis. Diese Gesichter, erklärte der Historiker, hätten immer große, ausdrucksstarke Augen, die sie auf ihre Betrachter richten. Ihre Botschaften verkündeten sie meist in der ersten Person Singular. Im weiteren Verlauf diskutierte Groebner Vorbilder und Vorläufer dieser Bilder und stellte die Frage, woher diese Art Bilder kommen. Indem er danach fragte, wie man aus dem Bild einer einzelnen Person ein „wir“ machen kann, das das Kollektiv verkörpert, ging er anschließend auf die Regeln der visuellen Darstellung ein. Einen dritten Schwerpunkt bildete die historische Untersuchung des Identitätsbegriffs in der Werbung.

Auch die Geschichte des Porträtfotos und die Entwicklung dessen Wahrnehmung wurden untersucht. Die ersten Fotos dieser Art hätten vor 160 Jahren nämlich keinesfalls nur Begeisterung ausgelöst. Anhand konkreter Beispiele verdeutlichte Valentin Groebner die „Magie“ des Porträtfotos in der Moderne. Bei der Einführung der Ausweispflicht zu Beginn des Ersten Weltkriegs sei beispielsweise statt Fingerabdruck ein Portraitfoto in die Pässe integriert worden. Und das, obwohl mit dem Fingerabdruck seit 1903 eine verlässliche Identifikationstechnik zur Verfügung gestanden habe. Seit den 1930er Jahren habe die Bedeutung von Portraitfotos dann stetig zugenommen und sei mittlerweile allgegenwärtig geworden.

Abschließend erklärte der Historiker, Fotos von Gesichtern würden insbesondere dann funktionieren, wenn sie übertragbar seien. Der Betrachter solle die Möglichkeit bekommen, sie gedanklich mit ähnlichen Gesichtern zu verknüpfen, die ihm bekannt vorkommen. Laut Groebner könne man diese Gesichter als Immunsuppressiva beschreiben. So wie gute Medikamente aus Pharmalabors, die das körpereigene Abwehrsystem außer Kraft setzen und so Organtransplantationen möglich machen, könnten großformatige Abbildungen von Gesichtern die feste Grenze zwischen der persönlichen Selbstwahrnehmung und dem beworbenen Produkt auflösen oder zumindest durchlässig machen. Das Gesicht auf dem Plakat verkörpere ein lebendiges Wesen mit Gesicht und fixiere den Betrachter durch direkten Augenkontakt.

Marija Drėmaitė ergänzte den Vortrag um eine weitere Interpretation und leitete zur Diskussion mit dem Publikum über. Im Mittelpunkt standen die Fragen, wie Porträts und Poster die Geschichte repräsentieren können, welche Veränderungen zur aktuellen Darstellungsweise von Bildern geführt haben und welcher Aberglaube im Zusammenhang mit Bildern existierte bzw. immer noch existiert.

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