CfP: Der „Bergmensch“: Ontologisierung, Stereotypisierung, (Auto)stilisierung

Die diesjährige 8. Tagung „Gebirge – Literatur – Kultur“ widmet sich dem „Bergmenschen“. „Bergmensch“ ist kein anerkannter wissenschaftlicher Terminus, doch wird er gelegentlich in wissenschaftlichen Diskussionen genutzt und stellt sich dann  als eine expressive Metapher heraus, als Kombination der Begriffe „Berg“ und „Mensch“, die durch ihre Verbindung neuen Sinn hervorbringen: „Bergmensch“ steht für eine essentielle Einheit von Menschen und Bergen. Was genau diese Einheit umfasst, wandelt sich allerdings abhängig von Raum und Zeit, die Sinneinheit passt sich an sich verändernde Kontexte an.

Mit dem Tagungsthema „Der ‚Bergmensch‘ – Ontologisierung, Stereotypisierung, (Auto)Stilisierung“ knüpft die Tagung  an eine Diskussion an, die im vergangenen Jahr auf dem dem berühmten Alpinisten Andrzej Zawada gewidmeten 25. internationalen Ladek Mountain Festival in Lądek-Zdrój angestoßen wurde. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Begriff „Bergmensch“ gerade aufgrund seiner schillernden Bedeutung eignen würde, die aktuellen Veränderungen im Alltagsleben und in der Alltagskultur zu beschreiben. Er reflektiert das wachsende Interesse am Gebirge, die Zunahme des Tourismus und der mit dem Raum verbundenen Extremsportarten, aber auch die Kommerzialisierung der mit den Bergen verbundenen Tätigkeiten. Ein „Bergmensch“ verknüpft sein Leben und sein Selbstverständnis mit den Bergen, er wählt einen Lebensstil, der mit häufigen Aufenthalten in den Bergen verbunden ist und setzt diesen mit einer essentiellen Abhängigkeit gleich. Er ontologisiert seine Entscheidungen zu Wesensbestimmungen. Diese Wesensbestimmung wurde „Gelegenheitsabhängigkeit“ genannt, womit ausgedrückt werden sollte, dass die Wahrnehmung von Wahl als Notwendigkeit die Identifikation mit den Bergen zu spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen macht Zu den „Bergmenschen“ könnten zum Beispiel passionierte Touristen oder Bergsteiger gezählt werden. Manchmal knüpfe das Selbstbild der „Bergmenschen“ auch an das traditionelle Lebensmodell der Bergbewohner an, baue aber durch die Stereotypisierung der Bergbewohner eigene Vorstellungen auf. Zu den Stereotypen der „Bergmenschen“ gehören Hirten, Hirtenjungen, Jäger und Bergführer, interessanterweise jedoch nicht Bauern. Der Begriff „Bergmensch“ beziehe sich, so das Fazit der Diskussion, auf unterschiedliche Personen, die in irgendeiner Weise die Nutzung des Gebirgsraums stilisieren und so sowohl die autochthonen Bergbewohner, die mit den schwierigen Klimaverhältnissen ringen müssen, zugleich aber im Einklang mit der Natur leben, als auch die Entdecker und Touristen, die die Berge als Raum für ihre Aktivitäten wählen, aufwerte.

Mit unserer Konferenz möchten wir an die Diskussionen auf dem Festival anknüpfen, um Ontologie und Historizität des Begriffs „Bergmensch“ zu ordnen und die dahinterstehenden Phänomene im historischen, kulturellen, psychologischen und soziologischen Forschungskontext zu verankern.

Die folgenden Fragen können als Anregung dazu dienen, womit wir uns auf der Tagung beschäftigen wollen:

Wer sind die „Bergmenschen“? Inwiefern können z.B. Schatzgräber, sich mit der Bergerschließung beschäftigende Forscher (Geologen, Naturwissenschaftler, Kartografen oder sogar Ärzte, die den Bereich der menschlichen Widerstandsfähigkeit gegen die sich mit der Höhe verändernden Wetterverhältnisse untersuchen), in Bergen arbeitende Architekten und Umweltarchitekten als „Bergmenschen“ begriffen werden?

Welchen Einfluss haben die Beziehungen zwischen Bergbewohnern und Neuankömmlingen auf die Herausbildung des „Bergmenschen“? Welche Rolle spielen Berufe, die mit einer tiefen Kenntnis der Berge einhergehen, also mit einem spezifischen Ethos und mit einer Ontologisierung des Wissens über die Berge als Teil des Wesens eines „Bergmenschen“. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang  Beispiele, die sich auf frühere und heutige Gebirgsberufe und -spezialisierungen beziehen (Bergführer, Bergretter). Diskutiert werden könnten die Heroisierung oder sogar Mythologisieren des Bergsteigers sowie die Funktionen und Wirkungsbereiche der Mythen. (So werden z.B. die polnischen Himalaya-Bergsteiger als „Eiskrieger“ bezeichnet).

Ein wichtiger Aspekt ist die Selbst-Konstruktion und Selbst-Stilisierung des „Bergmenschen“ (die Herausstellung von individuellen Eigenschaften und Voraussetzungen, einer spezifischen Sprache, einer dialektalen Prägung, der Kleidung als Charakteristikum und Identifikationsobjekt, z.B. der roten Jacken der Bergretter). Wie wird die Grenze zwischen dem „Bergmenschen“ und dem Anderen definiert? Wer ist der identitätsstiftende Andere für den „Bergmenschen“, im Vergleich zu wem stilisiert er seine Spezifik? Wie verhält sich das Individuelle zum Kollektiven und wie entstehen Gemeinschaften von „Bergmenschen“?

Ausgehend von der Beobachtung, dass der „Bergmensch” vor allem männlich konnotiert ist stellt sich die Frage, wie sich Bergsteigerinnen und Touristinnen, die sich als „Bergmenschen” verstehen, dies vor dem Hintergrund essentialisierter Männlichkeit inszenieren. Werden sie auch stilisiert und seit wann gibt es weibliche „Bergmenschen”? Sind sie ein Produkt von Emanzipations- und Gleichheitspolitiken des 19. oder vielleicht erst des 20. Jahrhunderts?

Beachtung verdient selbstverständlich die Rolle, die Literatur und Kunst für die Ontologisierung, (Selbst-)Stilisierung und Legitimation des „Bergmenschen“ spielt.

Die Intention der Tagung ist es, eine interdisziplinäre Arena für den Austausch von Ideen und Konzepten zum „Bergmenschen“ bereitzustellen. Besonders berücksichtigt werden sollen die historischen Wissenschaften (Regionalgeschichte Kunstgeschichte, Geschichte des Sports und des Alpinismus, Medizingeschichte), die Sozialwissenschaften (Soziologie, Psychologie) sowie die Literatur- und Sprachwissenschaften. Wir wünschen uns sowohl übergreifende Überlegungen als auch Fallstudien zu Bereichen, in denen die Ausbildung des Begriffs „Bergmensch“ entscheidend vorangetrieben wurde.

Die diesjährige Tagung wird wie die letztjährige in der Pension Willa Zameczek in Polanica-Zdrój stattfinden. Tagungssprachen sind Polnisch, Deutsch und Tschechisch. Alle Beiträge und Diskussionen werden simultan übersetzt. Vorgesehen sind 25 Minuten für jeden Beitrag, die nicht überschritten werden sollen.

Die Teilnahme an der Tagung ist für Referentinnen und Referenten kostenlos. Unterkunft und Verpflegung sowie Reisekosten werden von den Veranstaltern getragen. Es ist eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge geplant, entweder im Jahrbuch „Gebirge – Literatur – Kultur“ (Band 14/2020) oder in einem Sammelband.

Bitte schicken Sie Ihr Abstract (maximal 1 DIN-A4-Seite) in einer der Tagungssprachen spätestens bis zum 30.06.2020 an die folgende E-Mail Adresse: Ewa Grzęda ewagrzeda@o2.pl

Über die Annahme des Beitrags werden wir Sie bis zum 30.07.2020 in Kenntnis setzen.

Informationen zur Unterkunft sowie zu weiteren organisatorischen Fragen werden bis Ende September 2020 verschickt.

Das Tagungsprogramm wird Ihnen spätestens bis zum 30.09.2020 zugehen.

Prof. Dr. habil. Ewa Grzęda, Universität Wrocław
Prof. Dr. Dietlind Hüchtker, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO)
Prof. Dr. habil. Miloš Řezník, Deutsches Historisches Institut Warschau

Datum der Tagung: 4.-6.11.2020

Veranstalter:Geisteswissenschaftliche Forschungsstelle für Studien der Bergproblematik am Institut für Polnische Philologie der Universität Wrocław,Deutsches Historisches Institut Warschau,Leibnitz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO)

 

 

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