CfP: Evakuation – Rückzug – Liquidierung. Praktiken der Verschiebung und Auflösung von Staatlichkeit im 20. Jahrhundert

Im Januar 2020 jährt sich die gewaltsame Liquidierung des Konzentrationslagers und Zuchthauses Sonnenburg zum 75. Mal: Wenige Tage vor dem Heranrücken der Roten Armee erschossen deutsche Täter am 31. Januar 1945 im damaligen Osten Brandenburgs circa 800 Insass/innen. Die Teilnehmer/innen des internationalen wissenschaftlichen Workshops wohnen den Gedenkveranstaltungen im heute polnischen Słońsk bei und kontextualisieren mit ihren Beiträgen den Massenmord als Teil der Gewalt, die nationalsozialistische Akteur/innen auf dem Rückzug nach Erreichen der Grenzen des sogenannten Altreichs freisetzten. Der Gefangenenmord von Sonnenburg wird konsequent zusammen mit der gewaltsamen Auflösung von anderen Institutionen des „Dritten Reichs“ betrachtet. Dazu gehören die Zwangsarbeiterlager entlang der damals im Bau befindlichen Autobahn Berlin-Warschau, das sogenannte Arbeitserziehungslager „Oderblick“ und die nachträglich als Todesmärsche gefassten „Evakuierungen“ der Konzentrationslager, wie der des Komplexes Sachsenhausen.

Ziel des Workshops ist es, Praktiken der Auflösung von Staatlichkeit in Kriegs- und Gewaltsituationen vergleichend zu diskutieren. Dabei soll das geläufige Bild von Staatszusammenbrüchen als chaotische, gesetzlose Situationen hinterfragt werden. Welche und wessen „Gesetze“ gelten, wenn Staaten zusammenbrechen? Auch wenn der betroffene Staat nicht mehr über genügend Ressourcen verfügt, um das Gewaltmonopol über sein gesamtes Territorium auszuüben, hört er nicht umgehend auf zu existieren. Wie agieren Akteure der Staatsmacht, wenn diese erodiert? Wie ist zu erklären, dass Gefangene in Gefängnissen oder Lagern nicht zurückgelassen oder übergeben, sondern in der Mehrzahl und oft zeitlich unmittelbar vor dem Eintreffen der feindlichen Front verschleppt oder ermordet werden? Welche Annahmen liegen diesen Gewaltpraktiken zugrunde? Wie laufen die Räumungen und Exekutionen im Detail ab; wer führt sie durch? Besonderes Augenmerk wird dabei auf staatliche Gewaltakteure gelegt: Gefängniswächter, Lagerleitungen oder jene Erschießungskommandos des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges, die 1944/1945 in das Altreich zurückkehrten. Arbeitshypothese des Workshops ist, dass in Situationen existenzieller Bedrohung, wenn die Ausübung von Herrschaft nur noch in zunehmend kleiner werdenden Räumen möglich ist, die geltenden Regeln und Grenzen der Funktionsweise staatlicher Institutionen in besonders radikaler Form sichtbar werden. Ein zentraler Grund dafür ist die situative Infragestellung der gegenseitigen Bedingtheit von Loyalität des Personals der Institutionen gegenüber dem Staat in kontingenten Extremsituationen.

Veranstaltungsorte: Słubice (Polen) und Frankfurt / Oder
Organisator/innen: Felix Ackermann (Warschau), Janine Fubel (Berlin), Claudia Weber (Frankfurt / Oder); Eine Kooperation der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt / Oder und dem Deutschem Historischen Institut Warschau in Partnerschaft mit dem Museum Viadrina / Gedenk- und der Dokumentationsstätte „Opfer politischer Gewaltherrschaft“, dem Muzeum Martyrologii w Słońsku sowie dem Institut für angewandte Geschichte

Datum: 30.01.2020 - 31.01.2020
Bewerbungsschluss: 15.11.2019

Zum vollständigen Call geht es hier: DOWNLOAD CfP

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