Erfolgreiche Transformation – geglückte Einheit? Deutschland 30 Jahre nach der Wiedervereinigung

Die Transformation Deutschlands und ihre bis heute existenten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen standen im Mittelpunkt eines weiteren Vortrages der Herbstreihe der Außenstelle Vilnius des DHIW, der in Zusammenarbeit mit der Universität Vilnius und den „Tagen der deutschen Sprache“ geplant worden war.

Prof. Dr. Günther Heydemann hielt am 29. Oktober den Vortrag zu diesem Thema. Damit wollte er die erfolgreiche Transformation und geglückte Einheit Deutschlands 30 Jahre nach der Wiedervereinigung hinterfragen und das Publikum zum Nachdenken anregen.

Der Vortragende zeichnete zunächst den historischen Kontext der Friedlichen Revolution in der DDR in den Jahren 1989/90 und die Wiedervereinigung Deutschlands nach. Er konstatierte, dass mit der Vereinigung von Bundesrepublik und DDR eine neue Bundesrepublik Deutschland mit nahezu unveränderten institutionellen, politischen und staatlichen Ordnungen entstanden sei. Der Historiker wies zudem darauf hin, dass eine Verfassungsrevision oder die Ausarbeitung einer neuen Konstitution damals für unnötig erachtet worden sei.

Darüber hinaus zeigte der Vortragende auf, wie das bisherige Parteienspektrum Deutschlands durch die Wiedervereinigung erweitert wurde und inwieweit sich die Bedingungen deutscher Außenpolitik änderten. Beispielsweise betonte er, dass die hohen verfassungsrechtlichen Bestimmungen trotz des Pazifismus der deutschen Bevölkerung aufgehoben worden seien, und so auch militärische Einsätze der Bundeswehr außerhalb Deutschlands nach Zustimmung des Bundestages ermöglicht werden konnten.

Einen weiteren zentralen Teil des Vortrages nahmen die sozialen Folgen der Friedlichen Revolution und Wiedervereinigung ein. Prof. Heydemann zeigte auf, dass bereits der Fall der Berliner Mauer zu einer innerdeutschen Migration von Ost- nach Westdeutschland führte. In seiner faktenreichen Darbietung wies er nach, dass die ostdeutsche Bevölkerung im Zeitraum zwischen 1990 und 2015 um rund 12 % zurückgegangen sei. Daraus folge auch die demografische Alterung der ostdeutschen Gesellschaft.
Professor Heydemann argumentierte, dass Hauptaufgabe und Kernproblem der Wiedervereinigung die Transformierung der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft gewesen sei. Laut ihm führte dies zu außerordentlich hohen Sonderausgaben, zur Verschuldung Deutschlands und zu einer Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Dementsprechend zeigte der Historiker, dass in Ostdeutschland nicht nur das politische Engagement geringer sei, sondern auch die Ablehnung von Ausländern bzw. Flüchtlingen in Ostdeutschland eindeutig höher ausfalle. Die rassistisch motivierte Ablehnung von Ausländern sei durch subjektive Erfahrungen aus der Transformationszeit verstärkt worden, so Heydemann. Er konstatierte, dass die Flüchtlingsfrage als Katalysator diente, um die latent vorhandenen Meinungsunterschiede in Deutschland seit 1990 erneut sicht- und hörbar zu machen. Abschließend argumentierte der Vortragende, dass mentale Denkmuster und Verhaltensweisen Zeit brauchen, um neue Verhältnisse individuell wie kollektiv zu verarbeiten.
Die historische, wirtschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands stand auch im Zentrum der anregenden Diskussion mit dem Publikum. In der Diskussion übertrugen einige der über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer seine Thesen auf die Transformationsprozesse in Litauen nach 1990.

Günther Heydemann ist emeritierter Professor für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Leipzig. Er war von 2009 bis 2016 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT) e.V. an der TU Dresden. Zuletzt erschien gemeinsam mit Karel Vodička: From Eastern Bloc to European Union. Comparative Processes of Transformation since 1990, New York/Oxford 2017.

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