Handeln wie ein Staat

Zum Thema „Föderale Kompetenzen und föderales Handeln der Länder im habsburgischen Empire“ referierte Dr. Jana Osterkamp (München) am Montag, dem 6. Mai, in Prag. Im gemeinsam von der DHIW-Außenstelle, dem Collegium Carolinum München,  dem Masaryks Institut und dem Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften organisierten Vortrag präsentierte die Referentin das Thema ihres Habilitationsprojektes.

Zu Beginn ihres Vortrags bemerkte Osterkamp, dass die Geschichte des Föderalismus traditionell als eine Geschichte von Staaten erzählt wird, die sich zu einem gemeinsamen Bund zusammenschließen. Die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika seien ein solches Beispiel. Auch die Geschichte des Föderalismus in Deutschland lege den Schwerpunkt nach wie vor auf Fragen von Staatlichkeit, Souveränität und Kompetenzen der Länder. Die „Fokussierung“ der Föderalismusgeschichte auf die Frage eines „Bundesvertrags“ für den Fall Österreich-Ungarn stelle ein Problem dar. In der Habsburgermonarchie sei es nach Aussage der Referentin niemals zu einem vertraglichen Zusammenschluss der Kronländer zu einem „Bund“ gekommen.

Die Vortragende legte den Schwerpunkt nicht darauf, ob die Kronländer in einem verfassungs- oder völkerrechtlichen Verständnis Staaten darstellten. Stattdessen ging sie der Frage nach, inwieweit sie in Kakanien die Fähigkeit hatten, in einem politischen Gemeinwesen über eigene Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Auf verschiedenen Politikfeldern rangen sie um die Fähigkeit, das Wissen und die Ressourcen, wie Staaten handeln zu können. Die Kronländer entfalteten eine emsige Tätigkeit in den neuen Staatsaufgaben des 19. Jahrhunderts wie Volksbildung, Sozialfürsorge, Agrarmodernisierung und Infrastrukturen.

Osterkamp betonte, dass die Bedeutung Böhmens im Habsburgischen Reich in hohem Maße von den Akteuren, Institutionen und Ressourcen abhängig war, die mobilisiert wurden. Obwohl es in Böhmen keine Landesregierung oder Landesministerien gegeben habe, hätten Böhmen und andere Kronländer im 19. Jahrhundert unzählige und vielfältige Ersatzinstitutionen aufgebaut. Das bekannteste Beispiel sei das Bildungswesen. Die Auseinandersetzung um die Volks- und Bürgerschulen zwischen Staat und Ländern habe die Schulpolitik durch Impulse „von unten“ verändert und zu vielfältigen Kooperationen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, zwischen Ländern, Landesschulräten, Lehrervereinen, Eltern und Schülern sowie Gemeinden geführt. Der durch die Bildungsnationalisierung angestoßene Wettbewerb in den böhmischen Ländern habe insgesamt zu einem wachsenden Angebot für alle Bevölkerungsgruppen geführt, wohingegen sich die Situation in Galizien anders darstelle.

Jana Osterkamp schloss in ihrem Vortrag, dass die Föderalismusgeschichte zu den Gründen sowohl für den Zusammenhalt als auch für den Zerfall des habsburgischen Reichs zähle. Einerseits habe Föderalismus integrativ wirken können, weil die Institutionen, die eine politische Mitbestimmung in regionalen Angelegenheiten ermöglichten, näher am Bürger gewesen seien. Desintegrativ hingegen habe er gewirkt, indem er „Staaten im Staate“ schuf, für deren Zusammenhalt ein Gemeinschaftsbewusstsein, Solidarität und gegenseitige Loyalität hätte vorhanden sein müssen.

Dr. Jana Osterkamp studierte Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie in Berlin und Prag. Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Collegium Carolinum in München. Zuletzt gab sie heraus: Kooperatives Imperium. Politische Zusammenarbeit in der späten Habsburgermonarchie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018. 

24
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