Leonid Breschnew im Schatten Stalins

Parteitag der SED 1967, v.l. Juri Andropow, Erich Honecker, Leonid Breshnew. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-F0417-0001-028 / Gahlbeck, Friedrich / CC-BY-SA 3.0

Die Vorstellung von Leonid Breschnew als Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins bildete den diesjährigen Auftakt unserer Reihe „Montagsvorträge“. Über die Persönlichkeit des einflussreichen Generalsekretärs der UdSSR und seine politische Führung referierte Susanne Schattenberg am 25. Januar 2021 in ihrem Online-Vortrag. Organisiert wurde die Veranstaltung von unserer Außenstelle Vilnius in Zusammenarbeit mit dem Litauischen Historischen Institut und der Universität Vilnius.

Susanne Schattenberg, Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas sowie Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, stellte ihre Biographie Leonid Iljitsch Breschnews vor (herausgegeben zu seinem 35. Todestag im November 2017) und präsentierte die biographischen Kontroversen des am längsten regierenden sowjetischen Staatsmannes, der die Sowjetunion entscheidend prägte.

Breschnew, der von 1964 bis 1982 regierte, werde oft fälschlicherweise als „Hardliner‟ und „Stalinist‟ angesehen, der die Verfolgung der Dissidenten begann, oder als der Mann, der im Jahr 1968 in Prag und im Jahr 1979 in Afghanistan einmarschierte. Laut Schattenberg entspreche diese Darstellung jedoch nicht der Wahrheit. Vielmehr habe Breschnew wiederholt betont, dass sich der stalinistische Terror nicht wiederholen dürfe. Die Historikerin berichtete von ihrer Archivrecherche in der Ukraine und Moldawien, wo Breschnew von 1946 bis 1952 als Parteisekretär gearbeitet hatte. Während ihres Aufenthalts fand sie heraus, dass der Politiker in dieser Zeit noch stärker unter Stalin gelitten habe als vor dem Krieg. Zudem sei er die letzte Person gewesen, die der Niederschlagung des Prager Frühlings zustimmte, gleichzeitig jedoch nicht derjenige, der den Befehl zum Ausrücken der Panzer nach Kabul gab. Aufgrund seiner dauerhaften Bemühungen um Frieden und eine Annäherung an den Westen sei er laut Schattenberg daher statt als „Falke“ eher als „(Friedens-)Taube“ zu bezeichnen. 

Daran anknüpfend gab die Vortragende einen kurzen Überblick über Breschnews außenpolitische Ziele: nachhaltiger Frieden, Annäherung an den Westen und ein neues Sicherheitssystem für Europa. Mithilfe der Emotionsgeschichte vollzog sie seine außenpolitischen Handlungen nach und verwies dabei auf ein breites Spektrum an Emotionen, die zum damaligen Zeitpunkt vorherrschend gewesen seien. Das erste entscheidende Gefühl sei die Angst vor dem Dritten Weltkrieg gewesen, doch auch Vertrauen sei zu einer entscheidenden Emotion Breschnews in Bezug auf die Außenpolitik geworden. Sowohl mit Bonn als auch mit Washington habe er einen „Geheimkanal‟ aufgebaut, der ihn  ̶ unter Umgehung der Ministerialapparate  ̶ über wenige Vertrauensleute mit Brandt und Nixon verband. Zusätzlich dazu bemühte er sich, wie ein westlicher Staatsmann aufzutreten. Neben der Angst vor einem nächsten Krieg und dem Vertrauen war Stress eine weitere Emotion, die im Kalten Krieg eine sehr entscheidende Rolle gespielt habe. Breschnew hatte ständig mit dem Druck seines Amtes zu kämpfen, was bei ihm allmählich zu Schlaflosigkeit führte und ihn in die Tablettensucht trieb. Den Verfall und die Einsamkeit des Generalsekretärs thematisierte die Historikerin schließlich im letzten Teil ihres Vortrags. 

Die folgende Diskussion widmete sich insbesondere Fragen zum Führungsstil Breschnews sowie zu dessen Visionen und seiner politischen Agenda. Darüber hinaus kamen die Rezeption des Buches sowie der Forschungstand zur Person Leonid Breschnews in Deutschland und Russland zur Sprache. 

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