Politische Geschichte der roten Farbe

Unter dem Titel "Hostile Take-Over. A Political History of the Colour Red" referierte Hanno Balz am 14. Januar 2020 in Prag. Im gemeinsam von der DHIW-Außenstelle, dem Collegium Carolinum München und der Humanistischen Fakultät der Karls-Universität organisierten Vortrag stellte der DAAD-Lektor an der University of Cambridge sein Projekt zur Geschichte der politischen Symbolik vor.

Der symbolische Kampf um die Aneignung der roten Farbe zeige die Machtverhältnisse und Herrschaftswandlungen in der europäischen Gesellschaft. Im antiken Rom sei Rot die Farbe des römischen Kaisers und seiner Legionen gewesen. Zudem habe Rot als Farbe des römischen Kriegsgottes Mars gegolten, das vergossene Blut symbolisiert und so den Beginn eines feindlichen Angriffs markiert. Im Mittelalter sei die Farbe von der römisch-katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt dem Papst übernommen und zur Farbe der Märtyrer geworden. Zugleich habe der Großteil der europäischen Könige und Würdenträger den roten Umhang nach römischem Vorbild getragen.

Der Vortragende wies darauf hin, dass Herrscher ihr Monopol auf die rote Farbe in der frühen Neuzeit verloren hätten. In ersten Revolten und Volksaufständen seien Rebellen unter roten Fahnen marschiert und hätten die soziale Ordnung auf diese Weise symbolisch umgewälzt. Hans Müller, führende Figur der deutschen Bauernkriege, habe sich im roten Umhang mit roter Mütze präsentiert und in der Karibik habe die rote Flagge zahlreiche Piratenschiffe geschmückt. Ihre Bezeichnung „Jolly Roger“ leite sich vom französischen Begriff „Joli rouge“ (hübsches Rot) ab. Schon vor der Französischen Revolution sei die rote phrygische Mütze ein Symbol der Freiheit gewesen und beispielsweise von den nordamerikanischen Konspiranten „Sons of Liberty“ im Kampf gegen britische Kolonialtruppen getragen worden.    

Daran anknüpfend betonte Balz die Rolle des Kulturtransfers. Gerade die rote Mütze, die aus Amerika nach Europa zurückgekehrt sei, habe auf ihrem Weg deutlich an revolutionärer Bedeutung gewonnen. Somit stelle sie ein schönes Beispiel für den gegenseitigen Austausch dar. Seinen Höhepunkt habe dieser schließlich in einer Situation erreicht, als Thomas Jefferson, Autor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, französischen Revolutionären eine rote Mütze übergab, welche sie wiederum nach dem Sturm auf den Tuileries Palast an Ludwig XVI. weiterreichten –  anstelle der Königskrone. Ähnlich wie die rote Mütze sei auch die rote Flagge in dieser Zeit zum Symbol der Revolution geworden. Auch diese habe sich rasch in ganz Europa verbreitet. Im 19. Jahrhundert wehten an vielen Orten politischer und sozialer Konflikte rote Fahnen und auch unter protestierenden Arbeitern, Sozialisten und Anarchisten war dieses Symbol – vom revolutionären Bürgertum geliehen – weit verbreitet.

Den Schluss des Vortrags bildete eine Überlegung zum Problem symbolischer Praktiken, die eine etablierte Gesellschaftsordnung untergraben und wieder affirmieren. Zu Beginn habe Rot als Farbe der Herrschenden gegolten. In Volksrevolten, Bauernaufständen, der bürgerlichen Revolution oder in Arbeiterstreiks machten sich typo3/Rebellierende die Farbe so stark zueigen, dass sie ihren exklusiven Charakter verlor. Die rote Fahne sei folglich so zahlreich und häufig eingesetzt worden, dass sie mit der Zeit ihre subversive Bedeutung verloren und einen Wandel zu einem entleerten Symbol vollzogen habe.

04
Apr
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