Territoriale Grenzen im Heiligen Römischen Reich

Nach mehrmonatiger Pause öffnete das DHI Warschau seine Türen wieder für die Öffentlichkeit. Im Rahmen der Dienstagsvorträge sind im laufenden Wintersemester vier Vorträge geplant. Den Auftakt machte Andreas Rutz mit seinem Vortrag „Raum und Herrschaft im Heiligen Römischen Reich in Mittelalter und Früher Neuzeit“ am 5. Oktober.

Der Vortrag zu territorialen Grenzen im Heiligen Römischen Reich basierte auf Rutz‘ Habilitationsschrift „Die Beschreibung des Raums. Territoriale Grenzziehungen im Heiligen Römischen Reich“ (2018). Die Forschungen des Historikers sind Teil eines neuen Trends in der Erforschung von Raum und Grenzen („spatial turn“), der durch das Buch „Raumsoziologie“ von Martina Löw angeregt wurde und sich mit der Untersuchung von Raum und Grenzen befasst).

Im Vortragssaal des DHI Warschau sprach Andreas Rutz über räumliche Grenzen und die Staatsbildung und analysierte insbesondere die Verfahren zur Markierung und Beschreibung von Grenzen vom Frühmittelalter bis zum Ende der Frühneuzeit (800–1800). Im Fokus stand die Erkenntnis, dass viele Regionen des Heiligen Römischen Reiches noch im 18. Jahrhundert nicht über feste, klar definierten Grenzen verfügten.

In diesem Zusammenhang betonte und erläuterte der Referent die beiden von Martina Löw eingeführten und für die Erforschung von Grenzen äußerst bedeutenden Begriffe „Spacing“ und „Syntheseleistung“. Der erste Begriff beziehe sich auf die Anbringung materieller und symbolischer Zeichen des Territoriums, wie z. B. die Errichtung von Repräsentationsgebäuden und deren Verzierung mit den Wappen der Herrscher. Der zweite Begriff umfasse Aktivitäten vor Ort, wie Reisen der Herrscher durch ihr Territorium, Lehensabgaben und Visitationen. Herrschaftsräume seien verbal beschrieben worden – die verbale Konstruktion des Territoriums sei während des gesamten Untersuchungszeitraums dominant und rechtskräftig gewesen. Als weiteres Instrument zur Errichtung von Territorialgrenzen nannte Rutz deren materielle Markierung durch Grenzpfähle und -steine (ab dem 12. Jahrhundert).

Auch an den Grenzen habe es „Herrschaftsinszenierungen“ gegeben. Zum Beispiel die Unterzeichnung von Verträgen zwischen Herrschern, der Einzug eines fremden Monarchen, der Einzug der Braut des Herrschers (Brautreise). Erst mit der Entwicklung von Vermessungs- und Kartographietechniken zu Beginn der frühen Neuzeit habe man schließlich damit begonnen, territoriale Grenzen zu visualisieren.

Wie sich die Darstellung von Grenzen auf Karten veränderte, zeigte der Referenz anhand von verschiedenen Abbildungen und historischen Karten. Im 15. Jahrhundert seien Ortsnamen grafische Grenzmarker gewesen, im 16. Jahrhundert hätten Karten hingegen Landschaftsbildern geähnelt. Grenzen seien dementsprechend mit Bezug auf charakteristische Orte wie Flüsse markiert worden.
Im 18. Jahrhundert habe sich der Status der Landkarte allmählich verändert – von einer Illustration, die eine verbale Beschreibung begleitet, hin zu einem eigenständigen Medium. Dennoch sei die verbale Beschreibung aus rechtlicher Sicht während der gesamten Epoche von größter Bedeutung geblieben. Am Beispiel des Grenzkonflikts zwischen dem Herzogtum Ansbach und der Reichsstadt Nürnberg argumentierte der Referent, dass es bei Konflikten um territoriale Grenzen nicht so sehr darum gehe, wo die Grenzen tatsächlich verliefen, sondern darum, welche Territorialherrschaft diesen Raum besser – verbal, materiell und grafisch – abbilden könne.

Im Anschluss an den Vortrag war Zeit für Fragen aus dem Publikum. Die Diskussion konzentrierte sich unter anderem auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen nicht-kaiserlichen und klerikalen (nicht-erblichen) Fürstentümern sowie auf die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse des Referenten auf Imperien.

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