Zugänge zu einer gemeinsamen Geschichte

Um transosmanische Mobilitätsdynamiken ging es im Vortrag von Stefan Rohdewald (Universität Leipzig), der am 21. Februar in Prag stattfand. Die gemeinsame Außenstelle des DHIW und des Collegiums Carolinum hatte diesen in Kooperation mit dem Institut für Slawistik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften organisiert. Rohdewald analysierte Zugänge zu einer gemeinsamen Geschichte des östlichen Europas und des Nahen Ostens und stellte das Projekt „Transottomanica: europäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken“ vor. Dieses läuft seit 2017, befindet sich momentan in der zweiten Phase und soll 2023 abgeschlossen werden. Es sind bereits Sammelbände und Monografien erschienen, die als Teile des Schwerpunktprogramms entstanden, und weitere Beiträge sind geplant.

Wie Rohdewald erklärte, folgt das Projekt strukturell gesehen einem besonderen Ansatz: Ziel sei es, die osteuropäische Geschichte und die Geschichte des Nahen Ostens gemeinsam zu betrachten und ins Verhältnis zu setzen. Globalgeschichte wird anhand dieses ausgewählten Bereichs vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre untersucht. ‚Transottomanica‘ betreibe Post-Area-Studies, d. h. die bestehenden geschichtswissenschaftlichen Container sollen ausgehoben und stattdessen Netzwerke nachgezeichnet werden, durch die neue Rückschlüsse gezogen werden können.

Als Beispiele hierfür schnitt Rohdewald viele verschiedene Bereiche kurz an. Er sprach zunächst über materielle Mobilitäten, mobile Imperien und transimperiale Gesellschaften. Hierzu erwähnte er die Expansion der Goldenen Horde Moskaus und Litauens im 14. Jahrhundert, wodurch es im 16. Jahrhundert eine multiethnische und vielsprachige Gesellschaft gab. Er erwähnte auch, dass sich das Russische Reich in Konkurrenz und Abgrenzung vom Iran entwickelt habe, ähnlich wie das Osmanische Reich gegenüber Byzanz. An den osmanischen und iranischen Geschenken in Form von Waffen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die sich in den Schatzkammern des Kremls befänden, ließe sich außerdem eine gemeinsame Waffenkultur feststellen.

Anhand der Reproduktion von Handelsnetzwerken seien ebenfalls Mobilitätsdynamiken zu erkennen, so der Historiker. Bereits seit der Antike gebe es Verbindungen nach China, Indien und Nordeuropa. Zahlreiche Sondergruppen seien transkontinental unterwegs gewesen und zwischen ihnen habe es komplizierte Netzwerke gegeben. Interessant sei ebenfalls, wie das soziale Gefüge einer Stadt durch die Mobilität weniger Personen (Händler/Reisender) beeinflusst würde.

Des Weiteren beschrieb Rohdewald Wertschätzungsregimes am Beispiel von Textilien und Pelzen. Er zeigte eindrucksvolle Beispiele aus dem religiösen Bereich: z.B. persische/anatolische Seide, die die Einbände orthodoxer Kirchenbücher schmückte und Textilien, die im osmanischen Reich hergestellt, aber mit christlichen Symbolen geschmückt wurden. Außerdem seien persische Textilien für orthodoxe Paramente verwendet worden. Wertvolle Stoffe seien also transreligiös verwendet und ihnen über die Reiche hinweg ein gewisser Wert zugeschrieben worden. So hätten Objekte wie Pelzmäntel beispielsweise einen sozialen Rang symbolisieren können.

Als weiteres Beispiel besprach Rohdewald Keramik und Porzellan. Hier habe man in verschiedenen Regionen dieselben Muster geschätzt: China habe kobaltblaue Farbe für den überregionalen Porzellanhandel verwendet, im Osmanischen Reich habe sich Keramik gefunden, die diese Muster nachahmte (das Geheimnis des Porzellans kannten die Osmanen nicht) und in einer armenischen Kirche sei niederländische Keramik gefunden worden, die osmanische Motive nachahmte.
Wie der Vortragende erklärte, habe sich das Aussehen von Palästen zu Beginn des 18. Jahrhundert global angenähert; überall ließen sich gegenseitige Einflüsse finden. Ging es hierbei darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen? Die Mischung verschiedener Stile bezeichnete Rohdewald als übergreifendes Spiel, das lokal aufgegriffen wurde und dessen lokale Niederschläge es zu untersuchen gelte. Als letztes Beispiel nannte der Historiker die Transfiguration von Erdöl im 19. Jahrhundert.

Im Rahmen der sich anschließenden Diskussion wurden zunächst einige strukturelle Nachfragen gestellt. Diese aufgreifend erläuterte der Vortragende, dass das Schwerpunktprogramm ‚Transottomanica‘ nicht von der Untersuchung von Kulturen ausgehe, sondern sich zunächst nur mit Netzwerken beschäftige. Man versuche sich eines Raumkonzeptes zu bedienen, dem weder Sprache noch Religion oder Nation/Reich zugrunde liegt.

24
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