CfP für die Konferenz "Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen: Politik und Praktiken des Spielens im Staatssozialismus"

In Millionen Wohn- und Jugendzimmern, in Kasernen und Schulen, auf Schulhöfen, in Kneipen und inPrivatgärten wurde während des Kalten Krieges gespielt: viele Brettspiele und auch wenige Computerspiele von kommerziellen oder staatlichen Verlagen, gekaufte, kopierte, abgewandelte und selbst entworfene, aber auch Bewegungs- und Geländespiele.

Das Spiel als Medium und das Spielen als Praktik der Sozialisierung und der Unterhaltung bieten sichinsbesondere für einen vergleichenden analytischen Nahblick auf „Herrschaft als soziale Praxis“ (Thomas Lindenberger, 2007) in den sozialistischen Ländern bis 1989/1991 an. Im Spiel werden generations- und schichtenübergreifend „Gesetze des realen Alltags vereinfacht“ und es kann ein „Probehandeln“ stattfinden (Max Kobbert 2010).

Dementsprechend sind Spiele einerseits Medien, mit denen niedrigschwellig zeitspezifische Werte und Normen kommuniziert werden, andererseits bietet das Spielen als Praxis Räume der Auseinandersetzung, der Aushandlung beziehungsweise auch des Erlernens und Ausprobierens dieser Normen. Ganz unabhängig davon ist das Spielen eine alltägliche Praktik, in der es in erster Linie um Unterhaltung, Geselligkeit und Vergnügen geht. Spielen lässt sich daher ganz im Verständnis der neueren Emotionsgeschichte als eine „emotionale Praktik“ begreifen und analysieren (Monique Scheer 2012). Daher strebten alle staatssozialistischen Länder für alle Altersklassen die Kontrolle, Regulierung und Entwicklung von Spielen an, um damit Emotionen zu fördern, die der eigenen Herrschaft dienlich sind.Daher wurde in Erziehungsplänen für den Kindergarten und Handreichungen für Lehrer/innen immerwieder die Bedeutung von Spielen für die Herausbildung der „sozialistischen Persönlichkeit“ thematisiert.

In den Materialien lassen sich normative Diskurse der „Erziehungsdiktatur“ nachvollziehen. Es können verbindliche sozialistische Moral- und Wertvorstellungen, deren Wandel und zugeschriebene Wirkmächtigkeit herausgearbeitet werden. Zudem lässt sich über diesen Zugriff politischer Kulturgeschichte ein komplexes Bild darüber zeichnen, wie die sozialistischen Regime Alltag und Gesellschaft durchdringen wollten und was die Grenzen dieses Herrschaftsanspruches waren. Doch es wäre zu kurz gedacht, Spiele nur im Set von Erziehungsmedien und Erziehungsinstitutionen zubegreifen. Denn das Spielen findet zwar in einem Raum statt, der Regeln und Ordnung vorgibt. Doch zugleich hat es das Potenzial als vergnügliches, geselliges Tun überzuschäumen und sich diesen Grenzen und damit auch den Autoritäten der Ordnung zu entziehen. Spielen kann damit auch einen möglichen Raum für eigensinniges Handeln (nach Alf Lüdtke) schaffen, das widerständiges und systemkritischen Verhalten genauso herausfordern kann, wie herrschaftsstabilisierende Handlungsweisen, denn es ist ja auch nur ein Spiel und damit waren im Gegensatz zur Realität keine einschneidenden Konsequenzen zu befürchten.Ziel der Tagung ist es, erstmals systematisch und vergleichend Politiken und Praktiken des Spielens im Staatssozialismus zu diskutieren, um damit einerseits Herrschaft als ein Kräftefeld zu vermessen, in dem die Akteure symbolisch eigensinniges Verhalten ausprobieren und aushandeln.

Andererseits lassen sich über die Konzeptualisierung von „Herrschaft als sozialer Praxis“ Ansprüche, Strategien und Mechanismen einer geplanten totalen Durchdringung der Gesellschaft erkennen. Welche Rolle zum Beispiel spielten Glücksspiele, die per definitionem nicht mit sozialistischen Werten vereinbar waren und dennoch heimlich in privaten Räumen gespielt wurden? Entsprechend geht es einerseits um Politiken des Spiels, die begleitenden Diskurse um Entstehung und Verbreitung der Spiele und anderseits ganz konkret um Praktiken. Wer spielte überhaupt wann und wo? Welche Spiele waren verfügbar? Welche Bedeutung hatten traditionelle Spiele? Durch welche neuen Spiele wurden sie abgelöst oder konnten sie sich gegen diese behaupten? Welche Altersklassen bevorzugten welche Spiele? Welche Bedeutung hatten Bewegungs- und Gemeinschaftsspiele im Kontext der „Erziehungsdiktaturen“? Wie wurden Glücksspiele überwacht und behandelt?Die internationale Konferenz begrüßt Beiträge zur Produktionsgeschichte in den sozialistischen Staatenebenso wie zu den Spielinhalten. Was kann etwa zum Stellenwert des Militärischen oder Nationalpatriotischen in der Spielkultur gesagt werden?

Zudem interessieren uns Aspekte derblockübergreifenden Kulturgeschichte: Wie verlief die Appropriation westlicher Populärkultur im Segment der Brett- und Computerspiele und anders herum? Wie wurde diese Praktik beurteilt?Zugleich geht es aber auch darum, das Spiel als Vergnügen und Unterhaltung zu verstehen und damit eine Emotionsgeschichte des Spielens neu zu konzipieren. Wie lässt sich in diesem Verständnis Vergnügen verstehen, als Form der entspannten Geselligkeit, der Lust nach spielerischem Wettbewerb, der Stärkung und Herausbildung von kollektiver Erlebnissen der Unbeschwertheit, der Freude am Ausprobieren oder einfach nur als Strategie gegen Langeweile und damit als (im ideologischen Staatsverständnis) sinnvolle Gestaltung von freier Zeit?

Bei dieser Tagung handelt es sich um die erste „Hermann-Weber-Konferenz zur historischen Kommunismusforschung“, die in Kooperation mit dem Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung  und mit Förderung der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung ausgerichtet wird. Eine Veröffentlichung der Beiträge ist in gedruckter Form im Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung für 2021 sowie im Nachgang online auf https://kommunismusgeschichte.de/jhk/ geplant. Dafür sollten die fertigen Beiträge bis Sommer 2020 vorliegen.

Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Übersetzungen werden ermöglicht.

Deadline: 30. April 2019
Datum: 04.-06. Dezember 2019
Ort: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Lentzeallee 94, 14195 Berlin

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