Politik und Praktiken des Spielens

Die erste Hermann-Weber-Konferenz für Historische Kommunismusforschung erprobt ludische Perspektiven auf Herrschaft und Alltag im Staatssozialismus

Der Mensch ist nicht nur homo sapiens und homo faber, sondern auch homo ludens (Johan Huizinga 1938). Gespielt wird immer und überall; selbst der homo sovieticus spielte. Spielen kann als Probehandeln verstanden werden, das der Einübung sozialer Praktiken und Normen dient. Zugleich folgt es eigenen Regeln, es braucht Freiraum und Imagination, ist zweckfrei und emotional. Doch wie passt all das zusammen mit dem Anspruch diktatorischer Systeme, sämtliche Bereiche menschlichen Zusammenlebens zu steuern bzw. zu kontrollieren? Diesem Spannungsfeld zwischen Erziehungsanspruch, Eigendynamiken, Subversion und Affirmation widmete sich die Tagung „Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen: Politik und Praktiken des Spielens im Staatssozialismus“ die vom 4. bis 6. Dezember 2019 am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin stattfand. Die Kooperationsveranstaltung zwischen dem DHI Warschau, der Universität Augsburg, dem Berliner MPI und dem Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung bildete zugleich den Auftakt der Reihe Hermann-Weber-Konferenzen für Historische Kommunismusforschung.

An drei Konferenztagen präsentierten dreizehn Referent/innen Fallstudien aus der DDR, der Sowjetunion, aus Polen, der Tschechoslowakei, Slowenien sowie Rumänien. Die Bandbreite der untersuchten Spiele und Spielpraktiken reichte von Brettspielen, über Bewegungs-, Karten- und Computerspiele bis hin zu sportlichen Aktivitäten wie dem Skateboarden. Hinzu kamen Präsentationen, die sich dem Thema entlang von Expertendiskursen aus der Pädagogik, dem Spielzeugdesign und der Raumsoziologie widmeten. Besonders intensiv gestaltete sich der zweite Tag, der von zwei theoretischen Vorträgen gerahmt wurde: Am Morgen führte Jens Junge (Institut für Ludologie an der design academy berlin) in das weite Feld der „Ludologie“ ein. Am Abend folgten viele Gäste der Einladung zum öffentlichen Vortrag von Thomas Lindenberger (Hannah-Arendt-Institut Dresden), der unter dem Titel „Gesellschaft spielen“ äußerst anregende Überlegungen zur Kontingenz und Herrschaftspraxis in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft anstellte. Er schlug darin einen weiten Bogen von der Rolle spieltheoretischer Überlegungen in der DDR über den gesellschaftlichen Alltag bis hin zur Frage nach dem Zusammenhang zwischen Herrschaftspraxis, Spiel und Eigensinn.

Die einzelnen Vorträge ebenso wie die lebhaften Diskussionen im Nachgang der verschiedenen Panels drehten sich immer wieder um die Frage nach den „Grenzen des Spielbaren“ und der Spezifik des Spielens im Staatssozialismus. Letztere, so eine der diskutierten Thesen, liege weniger in den Spielformen selbst, als vielmehr in den lebensweltlichen Bedingungen des Spielens und einer deutlichen Tendenz zu seiner „Verzweckung“ staatlicherseits. Einig waren sich die Teilnehmer/innen am Ende der Tagung, dass ein spielzentrierter Ansatz viel Potential für neue Perspektiven auf Herrschaft und Alltag im Staatsozialismus birgt. Die erste Hermann-Weber-Konferenz wird hoffentlich als Auftakt dafür dienen. Eine Publikation der Untersuchung im Jahrbuch für historische Kommunismusforschung ist für 2021 geplant.

04
Apr
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