Im Rahmen der Filmreihe „<link file:1020 _blank download>Jahr des Protestes. 1968 im europäischen Kino“
76 Min., Regie: Jerzy Skolimowski
Ort: Kino Iluzjon
Der Film wird im polnischen Original mit englischen Untertiteln gezeigt.
Veranstalter der Filmreihe sind das DHI Warschau, die Nationale Filmothek – Audiovisuelles Zentrum, das Institut Français Warschau, das Slowakische Institut Warschau, das Tschechische Zentrum Warschau, das Goethe-Institut Warschau, das Italienische Kulturzentrum und das Marek-Edelmann-Dialog-Zentrum Łódź.
Zum Film:
Ręce do góry (Hände hoch!)
Der Film ist der letzte, den Jerzy Skolimowski in Polen drehte. Als der Vertrieb des Films verboten wurde, verließ der Regisseur das Land. Die Zuschauer sahen „Ręcę do góry“ erst im Dezember 1981. Im Prolog, den Skolimowski dem Film vor der Premiere hinzufügte, sagt er: „Mir war klargeworden, dass wenn ich keinen Film darüber machen kann, was ich verstehe, wenn ich keinen Film über mein Land machen kann, wenn ich nicht sagen kann, was ich denke, mir nichts blieb als auszureisen.“ Nach der Verhängung des Kriegsrechts wurde der Film erneut abgesetzt. Ein größeres Publikum erreichte er erst in den 1990er Jahren.
„Ręce do góry” ist eine vielschichtige Erzählung, die sich über mehrere historische Epochen erstreckt. Am Jahrestag der Verleihung ihrer Diplome treffen sich einige ehemalige Studenten der Medizinischen Hochschule. Mehr und mehr vom Alkohol berauscht und sich im Takt der Musik von Krzysztof Komeda wiegend, begeben sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit. Immer wieder verschwimmt die Grenze zwischen Wirklichkeit und trunkenem Trugbild. Die kritische Abrechnung des Regisseurs jedoch ist vollkommen real. „Sie sagen, unsere Generation sei nicht fähig zum Heldentum“, äußert eine der Hauptfiguren. Skolimowskis junge Leute sind bequem und konformistisch. Die Szene, in der Stalin auf einem von ihnen zusammengeklebten Plakat ein doppeltes Augenpaar besitzt, gehört zu den bekanntesten der polnischen Filmgeschichte. Als ihnen klar wird, was sie getan haben, nehmen die Protagonisten entsetzt Reißaus.
„Ręce do góry” ist ein mutiger Film – nicht nur, weil er offen über die Ängste der jungen Generation in der Volksrepublik Polen spricht, sondern auch aufgrund seiner komplexen formalen Struktur. Skolimowski konstruiert eine Erzählung aus metaphorischen Fragmenten und überschreitet die Grenzen der konventionellen Sprache des Films. Filmhistoriker diskutieren bis heute, ob sein frühes Schaffen als polnische „Neue Welle“ zu betrachten ist. (Text: Magdalena Saryusz-Wolska)
Zur Filmreihe:
Jahr des Protestes. 1968 im europäischen Kino
Zwölf Filme aus sechs Ländern geben die Atmosphäre Ende der 1960er Jahre wieder – eingefangen zum Zeitpunkt der Ereignisse oder erinnert nach Jahren. Obwohl sich die Forderungen der protestierenden Studenten in Frankreich, Italien und Westdeutschland von den Erwartungen der jungen Leute in Polen und der Tschechoslowakei unterschieden, verband sie doch der Geist des Widerstands und und der Unzufriedenheit mit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Alle gehörten sie zur ersten Nachkriegsgeneration. Sie sehnten sich nach einem Bruch mit den alten Moralvorstellungen und suchten eine neue Sprache in der Kunst. Was sie unterschied, war die Politik. In Westeuropa begeisterte sich die rebellische Jugend für den Kommunismus, während die aufbegehrenden Bürger Ostmitteleuropas ihn verdammten.
1968 betrat eine Generation die kulturelle und politische Bühne, für die „Gleichheit“ und „Freiheit“ keine leeren Phrasen waren. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nahm man es damit außerordentlich ernst. Erich Fromm schrieb: „[D]iese jungen Menschen wagen es zu sein und fragen nicht, was sie für ihren Einsatz bekommen oder was ihnen bleibt.“
Die Zeit hatte jedoch auch ihre dunklen Seiten: den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei, die antisemitische Hetze in Polen und die terroristischen Anschläge der Roten Brigaden und der RAF. Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen lösten bei den Gruppen, gegen die sie gerichtet waren, Unruhe und Angst aus. Das Ende der 1960er Jahre, das waren nicht nur fröhliche Gegenkultur, Protestsongs und Schlaghosen, sondern auch die Erfahrung handfester Gewalt.
Einrichtungen, die sechs Länder – Polen, Tschechien, die Slowakei, Deutschland, Frankreich und Italien – vertreten, präsentieren ein gemeinsames Panorama jener Zeit im Spiegel des Spielfilms. Das Kino der 1960er Jahre belegt die wichtige und einigende Rolle der Kunst: die Suche nach neuen Ausdrucksformen und mutiger Ästhetik und die Befreiung vom Maulkorb stilistischer Konventionen. Das Jahr 1968 ist ohne die „Neuen Wellen“ im Film nicht zu denken. Der revolutionäre Geist des Kinos von damals lässt die Filme von heute erstaunlich traditionell erscheinen. Ist die Gegenkultur gescheitert? Nicht unbedingt. Heute schwingt in den Erinnerungen an jene Jahre Nostalgie und die Sehnsucht nach Revolte und einer engagierten Jugend mit.
50 Jahre nach dem polnischen März, dem französischen Mai, dem Prager Frühling und den deutschen Studentenprotesten wird Europa erneut von politischen Turbulenzen erschüttert. Die vom Protest jener Generation ausgelösten Veränderungen waren dauerhaft. Die Generation selbst jedoch tritt heute aus Kultur und Politik ab. Sie macht Menschen Platz, die in einem anderen Europa groß geworden sind. Wie gehen wir heute mit dem Erbe von 1968 um? Woran erinnern wir uns, was haben wir vergessen? Die in der Filmreihe gezeigten Filme geben vielfältige Antworten und provozieren weitere Fragen. (Text: Magdalena Saryusz-Wolska)