Regionalität und Regionsbildung
Project 1
Ermland – Warmia. Zur Longue durée von Regionalisierungsprozessen im 19. und 20. Jahrhundert
Bearbeiter: Ralf Meindl
Die ostpreußische Region Ermland ist keine naturräumlich bestimmte Landschaft, sondern ein Kulturraum, der seit dem späten Mittelalter in den willkürlichen Grenzen des seit 1772 nicht mehr als Verwaltungs- und Wirtschaftseinheit existierenden Fürstbistums Ermland entstand. Aufgrund der starken Identifikation seiner Bevölkerung mit der Region wird es trotz seiner geographischen Heterogenität von Akteuren, Betroffenen und Beobachtern als physische Entität gesehen. Im Ermland werden deshalb bis heute die kulturellen Diskurse von spezifischen Regionalisierungsprozessen bestimmt, denen die politisch-organisatorische Basis, die sie und ihre Dynamik einst erst initiiert hatten, bereits vor 250 Jahren abhandengekommen ist. Für diese Prozesse ist konstituierend, dass sie ihre größte Prägekraft gerade in Abgrenzung und zeitweise sogar im Konflikt mit den bestimmenden politischen, kulturellen und religiösen Kräften des preußischen Staates, zu dem das Ermland von 1772 bis 1945 gehörte, ausbildeten und ihren spezifischen, regionalen und katholischen, Charakter weiterentwickelten. Dabei ist beachtenswert, dass die Bildung der Kulturregion Ermland gleichzeitig stattfand mit der Ausprägung einer ostpreußischen Regionalidentität, derer sich die Ermländer trotz aller Abgrenzungen ebenfalls zugehörig fühlten, sowie eines preußischen und eines deutschen Nationalbewusstseins.
Das Projekt „Ermland – Warmia. Zur Longue durée von Regionalisierungsprozessen im 19. und 20. Jahrhundert“ beobachtet deshalb die Zeit von 1818 bis 1945, in der die ermländische Entwicklung einen Sonderweg innerhalb einer sich kulturell anders orientierenden Gesellschaft bildete und in der der preußische Staat seine Institutionen ausbaute, professionalisierte und durch sie in die Lebensführung seiner Bürger eingriff. Die wichtigsten Turningpoints, die die Regionalisierungsprozesse beeinflussten, bildeten der Kulturkampf und die Auseinandersetzung rund um die Sprachenproblematik zwischen 1871 und dem Ersten Weltkrieg, die Volksabstimmung 1920 sowie die nationalsozialistische Diktatur. An ihnen wird untersucht, inwieweit die Konfrontationen zwischen Staat und Gesellschaft respektive katholischer Kirche auch adaptive und assimilatorische Elemente enthielten und zu mehreren Transformationen der Gesellschaft führten, die in dieser Form von keiner Seite intendiert worden waren, die aber als Ergebnisse dynamischer und äußerst nachhaltiger Regionalisierungsprozesse zu verstehen sind. Die Zäsur 1945 und die ebenfalls von den geschilderten Regionalisierungsprozessen stark beeinflusste Entstehung einer dezidiert ermländischen Vertriebenenkultur in der Bundesrepublik Deutschland sowie die Rezeption ermländischer Identifikationsmuster durch die neu angesiedelte polnische Bevölkerung soll einen Ausblick bilden.
Ziel des Projektes ist es, diese spezifische Art der Regionalisierungsprozesse, die eine Region in Konfrontation und Kooperation mit ihrer Umwelt erst konstituieren, zu analysieren und ihre Wirkungsweise zu beschreiben. Damit schließt das Projekt zugleich eine Forschungslücke, da sich die Forschung zu Ostpreußen und seinen Regionen bisher stark auf Masuren konzentrierten.
Project 2
Zwischen Erholung und Politik. Gestaltung und Wandel touristischer Praktiken im ehemaligen Ostpreußen im 20. Jahrhundert
Bearbeiterin: Dovilė Bataitytė
Das geplante Forschungsprojekt konzentriert sich auf visuelle Darstellungen ehemaliger ostpreußischer Städte im 20. Jahrhundert. Es sollen Präsentationen von Städten analysiert werden, die einerseits visuelle Veränderungen vermitteln, andererseits darüber hinaus auch einen bildlichen Einblick liefern, welche in den städtischen Räumen vorhandene Objekte im Diskurs touristischer Praktiken am häufigsten auftauchten. Ebenfalls werden politische Einflüsse auf diese Prozesse berücksichtigt und gefragt, inwiefern die Freizeitgestaltung politischen Charakter trug. Wer entschied auf welchem Weg und aus welchem Grund über die visuelle Repräsentation städtischer Räume, die dann in Informationsbroschüren, Reiseführern, Handbüchern sowie auf Postkarten dargestellt wurden?
Die Forschung zielt darauf ab, die Frage zu beantworten, wie Städte, die zu ein und derselben Region gehören, durch die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen des 20. Jahrhunderts für verschiedene Autoren visueller und textlicher Erzählungen über sie relevant wurden. Wie haben diese Schöpfer der visuellen Darstellungen die Narrative über diese Städte und andere interessante Orte verändert? Die Analyse der Region als verbindendes Element, ihren Wandel sowie Praktiken zur Aufrechterhaltung der lokalen Relevanz werden in dieser Studie einen wichtigen Platz einnehmen. Im 20. Jahrhundert erlebte die ehemalige Region Ostpreußen, wie ganz Europa, große Veränderungen. Der Erste und der Zweite Weltkrieg haben nicht nur die nationalen Grenzen neu gezogen', sondern auch die Art und Weise verändert, wie, warum und wem Städte und Gebiete, die einst zu Ostpreußen gehörten, präsentiert wurden. Die Veränderungen, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion Ende des 20. Jahrhunderts folgten, beeinflussten auch die politische Landkarte Mittel- und Osteuropas sowie die Art und Weise, wie sich die Länder nach ihrer Unabhängigkeit selbst darstellten und wie Städte, die im Laufe eines Jahrhunderts zu mehreren verschiedenen Staaten gehört hatten, öffentlich repräsentiert wurden. Im städtischen Raum hat die Zugehörigkeit zu verschiedenen Staaten und Regionen ihre Spuren hinterlassen – durch verschiedene Symbole, Denkmäler, neue Stadtviertel, Straßennamen. All diese Zeichen haben für die Gesellschaften in der Region eine neue Bedeutung bekommen, da sich die politische Situation verändert hat. Obwohl einige Objekte das ganze 20. Jahrhundert hindurch Teil des Stadtbildes blieben, erfuhr ihre Präsentation eine deutliche Veränderung. Die Untersuchung dieser Transformationen ermöglicht auch eine vergleichende Analyse von Städten, die heute in verschiedenen Staaten liegen, aber zur ehemaligen Region Ostpreußen gehörten.
Geplant ist eine vergleichende Analyse der Städte Klaipėda (Memel) , Kaliningrad (Königsberg) und Olsztyn (Allenstein), die dann ermöglicht, Tendenzen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Prozesse zu beschreiben.
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