Wiederentdecken, aneignen und bewahren: Jüdische Architektur als Erbe

Unter dem Titel „Jüdische Architektur als Erbe“ referierte Ulrich Knufinke am 18. April 2023 über Aspekte einer deutschen Geschichte des „Wiederentdeckens", „Aneignens" und „Bewahrens". Der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger von der Technischen Universität Braunschweig besprach den Umgang mit Synagogen in der deutschen Denkmalpflege und Erinnerungskultur seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Am Beispiel der Bornplatz-Synagoge in Hamburg, die gleichzeitig Mahn- und Kulturdenkmal sei, diskutierte Knufinke, welche Ebene des jeweiligen Objektes oder Zeugnisses für welche Akteure welche Relevanz aufweist. Anschließend gab er einen Überblick über den Umgang mit Synagogen seit dem späten 19. Jahrhundert. Dieser sei zunächst durch zunehmende Bemühungen des Erhaltens und Dokumentierens jüdischer Bauwerke geprägt gewesen. Im Zuge des Nationalsozialismus seien diese Bemühungen zum Erliegen gekommen und zahlreiche, auch repräsentative, jüdische Synagogen durch Pogrome zerstört worden.

Synagogen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg zwar eine essentielle Bedeutungsebene hinzugewonnen, dies habe jedoch nicht zwangsläufig auch erhöhte Wertschätzung bedeutet, erklärte der Historiker und zeichnete im Folgenden den Umgang und die Konzepte der Denkmalpflege in der Nachkriegszeit nach. Hierzu führte er Beispiele jüdischer Synagogen in Niedersachsen an. In Diepholz oder Dieburg beispielsweise sei auf Forderungen der sogenannten Displaced Persons eine Wiederherstellung der Gebäude vorgenommen worden. Aufgrund der schwindenden Gemeindemitglieder jedoch seien beide Synagogen in den 1950er und 1960er Jahren schließlich abgerissen worden.

Ab den 1970er Jahren sei dann eine stärkere Aufmerksamkeit nicht-jüdischer Menschen zu beobachten gewesen, begründet durch ein wachsendes Interesse an deutsch-jüdischer Geschichte und Kultur. In der Folge seien zahlreiche Synagogen wiederhergestellt worden - aus unterschiedlichen Intentionen heraus und mithilfe verschiedener Konzepte. Darunter auch die Synagoge in Celle, deren denkmalpflegerische Geschichte durch diverse Aushandlungsprozesse geprägt gewesen sei.

Weiteres Vortragsthema waren sogenannte Translozierungen jüdischer Synagogen aus dem ländlichen in den städtischen Raum: z.B. von Bodenfelde nach Göttingen oder von Wohra nach Gießen. Für die Synagoge im unterfränkischen Memmelsdorf  sei ein besonderer Umgang gewählt und ein didaktischer Lernort errichtet worden, so der Referent. Heute seien Synagogen hingegen überwiegend im kleinstädtisch-ländlicheren Raum zu finden.

Knufinke zeichnete anhand verschiedener Beispiele eindrücklich die unterschiedlichen Ansätze des Umgangs mit jüdischen Synagogen als „Denkmale“, „Mahnmale, „Quellen“ und „Exponate“ nach. Diese seien stets nicht nur einem dynamischen Wandel der Denkmalpflege und Erinnerungskultur ausgesetzt, sondern auch durch vielfältige Zielsetzungen und Aushandlungsprozesse diverser Akteure geprägt. Der Holocaust als solcher stelle eine deutliche Zäsur im Umgang mit jüdischen Synagogen dar und sei unzweifelhaft an die Auseinandersetzung mit den jüdischen Bauerzeugnissen geknüpft. Der Umgang mit jüdischen Gotteshäusern und die Veröffentlichung ihrer materiellen und erinnerungskulturellen Geschichten und Deutungsebenen stelle laut Knufinke nie ein reines „Wiederentdecken“ oder „Bewahren“ dar, sondern sei immer auch mit einem Aneignungsprozess des betreffenden Ortes verbunden. Daher müssten sich Historikerinnen und Historiker auch zukünftig die Frage stellen, wie ein reflektierter Umgang mit jüdischen Erzeugnissen in der Denkmalpflege und Erinnerungskultur möglich sein kann.

04
Apr
Exhibition
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