Polizeibrutalität und Gesellschaft in der Volksrepublik Polen

Bilder von exzessiver Polizeigewalt bilden einen wichtigen Teil des kollektiven Erinnerns an die Volksrepublik Polen. Die Bürgermiliz (Milicja Obywatelska) und deren paramilitärische Sondereinheit ZOMO (Zmotoryzowane Odwody Milicji Obywatelskiej) stehen geradezu als Synonym für die sozialistische Parteiherrschaft. Doch unterschied sich der polnische Fall tatsächlich von anderen Ländern hinsichtlich des Ausmaßes und der Methodik polizeilicher Gewaltanwendung? In seinem Vortrag, der auf dem kürzlich in der Hamburger Edition erschienenen Buch „‘Ich werde mich nie an die Gewalt gewöhnen.‘ Polizeibrutalität und Gesellschaft in der Volksrepublik Polen“ basierte, zeichnete das DHIW-Beiratsmitglied Joachim von Puttkamer ein viel differenzierteres Bild. 

Neben gezielt eingesetzter Gewalt bei der Bekämpfung politischer Gegner lässt sich eine Vielzahl von Situationen ausmachen, die eher unter dem Phänomen der Alltagsgewalt als politischem Kalkül zu subsummieren sind. Hier zeigt sich, dass zum einen die Polizeikräfte mit ihrem Gewaltpotenzial die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln. Zum anderen kann man auch von einer Janusköpfigkeit der Polizei für das Regime selbst sprechen: Sie war zwar ein wichtiges Instrument zur Herstellung von Ruhe und Ordnung und bei der Durchsetzung des Machtanspruchs der Partei. Zugleich stellten die bewaffneten Organe aber eine Gefahr für das Regime dar, denn jedwede Polizeigewalt verringerte dessen Ansehen und Legitimität. Vor diesem Hintergrund unternahmen die Machthaber immer wieder Versuche, die Ordnungskräfte zu professionalisieren, deren Gewaltpotenzial einzuhegen und damit zu einem kontrollierbaren Instrument zu machen.

Vieles von dem, was heute mit der repressiven Rücksichtslosigkeit sozialistischen Einparteienherrschaft in Verbindung gebracht wird, geht nach Puttkamers Einschätzung eher auf ein bewusstes Inkaufnehmen von Polizeibrutalität zurück, denn auf deren gezielten Einsatz. Nichtsdestotrotz führte deren schieres Ausmaß zu einer schleichenden Selbstzerstörung der Diktatur in den 1980er Jahren.

Aufgrund der derzeitigen Forschungslage ist ein evidenzbasierter Vergleich mit anderen Diktaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur schwer möglich. Klar ist indes, dass sich hier ein weites Forschungsfeld eröffnet, das Polen nicht nur als sozialistische Diktatur und Teil eines politischen Blocks betrachtet, sondern in globalen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontexten der Nachkriegszeit verortet.

18
Oct
Exhibition
Exhibition „Illusions of Omnipotence: Architecture and Everyday Life under German Occupation”
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