Gewalt: Soziale Praktiken und Machtstrukturen
Der Forschungsschwerpunkt vereint Projekte, die sich mit Ausprägungen und Manifestationen von Gewalt auseinandersetzen, die über rein physische Praktiken hinausgehen. Er nähert sich dem Gegenstand aus unterschiedlichen thematischen und methodischen Perspektiven. Diese umfassen die Analyse von schriftlichen Quellen ebenso wie die Auswertung von materiellen und visuellen (Be-)Funden. Der Forschungsschwerpunkt ist epochenübergreifend angelegt und kann synchrone oder diachrone Vergleiche integrieren. Er versteht Gewaltausübung als eine soziale Praxis, die über historisch spezifische Formen verfügt, in eine Vielzahl von Machtverhältnisse eingeschrieben sowie konstitutiver Bestandteil ökonomischer Ordnungen ist.
Als Beispiel seien verschiedene Formen unfreier Arbeit genannt, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Großregion Ostmitteleuropa ziehen. Ein derzeit in Polen intensiv diskutiertes Beispiel ist die Geschichte des „einfachen Volkes“ (historia ludowa), die u.a. erzwungene Dienste im Rahmen der frühmodernen Gutswirtschaft in Polen-Litauen in den Fokus stellt (Adam Leszczyński, Adam Wyżga u.a.). Forschung zu unfreier Arbeit kann auch den Sklavenhandel umfassen, dem eine große Bedeutung bei der Staatsbildung der ersten Piasten und der Přemysliden zukam. Durch Konzepte der unfreien Arbeit, des Sklavenhandels, oder der „Gewaltmärkte“ (Georg Elwert) lassen sich komparative und interdisziplinäre Ansätze miteinander verbinden.
Die veränderten Gewaltpraktiken der Moderne spiegeln sich in den wachsenden Opferzahlen von Kriegen und Genoziden seit dem 19. Jahrhundert wider. Voraussetzungen dafür waren die rasant steigende Effizienz von Waffensystemen, die in zunehmendem Maße auch gegen die Zivilbevölkerung gerichtet werden konnten, sowie die Hinwendung zu pseudowissenschaftlich begründeten Rassenideologien, darunter vor allem ein eliminatorischer Antisemitismus. Die Geschichte des Nationalsozialismus und der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg einschließlich des Holocaust sowie die gewaltsame stalinistische Herrschaft bilden für Ostmitteleuropa den grausamen Höhepunkt und die grenzübergreifende Grunderfahrung dieser modernen Gewaltgeschichte. Auch in Hinblick auf die Erforschung gewaltsamer ethnischer Homogenisierungsprojekte spielt der Zweite Weltkrieg am DHI Warschau eine wichtige Rolle.
Der Forschungsschwerpunkt möchte zur Auseinandersetzung mit folgenden Themen anregen:
- Zusammenhang zwischen Gewalt und (fehlender) Staatlichkeit
- Alltagsgewalt in ländlichen und städtischen Räumen
- Gewalt im Zusammenhang mit Migrations- und Emanzipationsprozessen
- Diskurse über (strukturelle) Gewalt
Das Projekt ist Teil des internationalen und interdisziplinären Forschungsvorhabens „Das globale Pontifikat von Pius XII.: Katholizismus in einer geteilten Welt. 1945–1958“, das sich mit der Rolle des Vatikans in der Wiederaufbauphase nach Ende des Zweiten Weltkriegs, den sich abzeichnenden Konflikten zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten sowie den Entkolonialisierungsprozessen im globalen Süden beschäftigt. Im Rahmen des Teilprojektes werden die Politik des Heiligen Stuhls während der Liquidierung der griechisch-katholischen Kirchen und deren Folgen in der späten stalinistischen Periode untersucht. Dabei geht es um eine länderübergreifende vergleichende Perspektive mit besonderem Augenmerk auf die Verflechtungen in der Politik und die Auswirkungen globaler Trends auf die lokale Situation.
Um die komplexen Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Aspekten zu erfassen, werden das vielfältige Engagement des Vatikans, seine Informationsquellen und seine diplomatischen Instrumente rekonstruiert. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, welches Bild der Vatikan von der sowjetischen Ukraine und der sowjetischen Religionspolitik hatte. Zudem werden die Untergrundpraktiken vor Ort, die der Vatikan teilweise unterstützte, teilweise aber auch missbilligte, untersucht.
In den Blick genommen werden außerdem formelle und informelle Interaktionen zwischen dem Vatikan und den kommunistischen Behörden bezüglich der Gläubigen der aufgelösten griechisch-katholischen Kirche, insbesondere die Reaktion des Heiligen Stuhls auf den Bevölkerungsaustausch in den Grenzgebieten nach Kriegsende und die Operation „Weichsel“, unter deren Opfern auch Menschen mit griechisch-katholischem Bekenntnis waren.
Das humanistische Denken der Renaissance stellte die aus früheren Epochen überlieferten sozialen Hierarchien in Frage. Eines der auffälligsten Beispiele für diese Bewegung stammt von politischen Denkern, die sich für die Reform der gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche einsetzten. Andreas Fricius Modrevius (1503–1572) gilt als der bedeutendste politische Denker der Renaissance im Königreich Polen. Er drängte auf die Einführung einer allgemeinen Strafe für Mord, ohne Rücksicht auf den Status des Opfers oder Täters. Dieser Vorschlag wurde in seinem Werk Lascius sive de poena homicidii (1543) dargelegt. Im Laufe der Zeit erregte dieses Argument die Aufmerksamkeit von Zeitgenoss:innen aus verschiedenen Ländern. Einige begrüßten den Vorschlag mit Begeisterung, von anderen, darunter Jean Bodin (1530–1596), wurde er heftig kritisiert. Unter den treuen Anhängern von Fricius sticht der Name von Andreas Volanus (1530–1610) hervor, wahrscheinlich aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen und ähnlichen Bildungserfahrungen. Beide absolvierten die Universität Wittenberg. Volanus formulierte Fricius’ These in seinem politischen Traktat De Libertate politica sive civili (1572) neu und führte diese Idee im Großherzogtum Litauen ein. Obwohl sein Vorschlag von politischen und religiösen Gegnern, u.a. Piotr Skarga (1536–1612), kritisiert wurde, hatte die Kampagne Erfolg: In Litauen wurde eine allgemeine Strafe für Mord eingeführt.
Das Projekt ist eine Studie über den kulturellen Transfer politischer Ideen zwischen Polen, Litauen und Deutschland in der Renaissance. Es befasst sich mit den Argumenten, die sowohl in Fricius’ als auch in Volanus’ Werk aus der Perspektive der Cambridge-Schule des politischen Denkens dargelegt werden. Es nimmt eine vergleichende Perspektive ein, um die Neuartigkeit und Rezeption dieser Argumente im europäischen Kontext zu bestimmen.
Aktuelle Meldungen
Juli

Junior-Residenzprogramm in Prag
Ab dem 1. September 2025 bietet die Prager Zweigstelle des Deutschen…
Juli

Neues Projekt über Synagogengebäude im heutigen Polen und das Vermächtnis der postsozialistischen Übergänge
Innerhalb des DFG-Schwerpunktprogramms 2357 – „Jüdisches Kulturerbe” wird das…
Aug.
