Religion, Politik und Wirtschaft im vormodernen Polen
Einleitung
Das vormoderne Polen war ein regional, kulturell, ethnisch, konfessionell und ökonomisch stark diversifiziertes Gebilde, das in sozialer und kommunikativer Hinsicht zugleich ausgesprochen gering verdichtet war. Seit dem frühen Mittelalter erlebte es grundlegende Veränderungen, Innovationen, Modernisierungen, die aus Sicht der Eliten nicht zuletzt auf Reform und Erhalt der Herrschaft zielten. Während die führende Rolle des Adels innerhalb dieses Prozesses in der Forschung seit langem eingehend erörtert wird, erscheint ein potentiell wichtiger Faktor der Veränderungs- bzw. Modernisierungsprozesse noch relativ wenig thematisiert: Kirche, Religion und Wirtschaft. Über die Mobilisierungsimpulse und Modernisierungsschübe, die von der Kirchen- und Bekenntnispolitik, den kirchlich-konfessionellen Strukturen, den kontinental verflochtenen Eliten und Dynastien sowie intellektuellen und künstlerischen Zusammenhängen ausgegangen sind, wissen wir noch vergleichsweise wenig. Hierzu soll der Forschungsbereich mit Blick auf die Verdichtung von Herrschaft, Verwaltung und Wirtschaft im mittelalterlichen Polen und der Adelsrepublik neue Einsichten befördern. Im Mittelpunkt des Forschungsbereiches stehen die unmittelbaren Auswirkungen der Religion und Wirtschaft auf die Politik und deren zeitgenössische Erklärungsversuche. Einen Schwerpunkt bilden Fragen des interkonfessionellen und interreligiösen Kontakts, des Konfliktmanagements und der Mediation ebenso wie die Frage nach Monetarisierungen und Kommerzialisierungen im europäischen Kontext.
Teilprojekt 1
Münze als Attribut der ungleichen Entwicklung und konkurrierenden Imitation im deutsch-polnischen Kontext, 1000-1300
Bearbeiter: Dariusz Adamczyk
Ausgangspunkt des Vorhabens sind die regionalen Entwicklungsunterschiede in Mitteleuropa im Hochmittelalter. Die Forschung bezeichnet ungleiche Entwicklung als Kluft zwischen den reichen, industrialisierten Ländern des Nordens und den armen, vorwiegend Primärprodukte erzeugenden Ländern des Südens. Historiker weisen jedoch schon seit Jahren darauf hin, dass die auf der Welt herrschende Ungleichheit aus Strukturgegebenheiten erwächst, die sich sehr langsam herausbilden und ebenso langsam verwischen (F. Braudel). Sie sind demzufolge nicht erst die Konsequenz der Industriellen Revolution, sondern begegnen durchaus in vormodernen Gesellschaften. Die Ungleichheiten erscheinen häufig als synchron verlaufende Asymmetrien zwischen verschiedenen Regionen, die teilweise durch geografische Verhältnisse (Ungunsträume), mitunter wiederum durch den Grad ihrer Integration in die jeweilige Zivilisationsökumene bedingt waren.
Der Verflechtungsgrad im nordwestlichen Eurasien erreichte bereits im 9. und 10. Jahrhundert beachtenswerte Dimensionen. Besonders zwischen etwa 900 und 950 liefen die Silberminen in Usbekistan auf Hochtouren, um die Märkte vom Ural bis in den keltischen Rand im Atlantik und von der Krim bis Mittelschweden zu bedienen. Die Qualität der Interaktion bestand nicht allein darin, dass Edelmetalle und Güter kommerzielle Kreisläufe stimulierten. Für die entstehenden Dynastien zu jener Zeit bildete Fernhandel (neben Tributen und Beutegut) die fiskalisch-ökonomischen Grundlagen ihrer Herrschaft. Parallel konvertierten die Eliten der entstehenden Staaten zum Christentum in lateinischer wie orthodoxer Version – im Fall westslawischer Gebiete ein Prozess, der von der um das Jahr 1000 erfolgten Erschließung neuer Silberminen im Harz beschleunigt wurde. Im 12.-13. Jahrhundert fand dann eine tief greifende Transformation der Gesellschaft und Kultur statt, die sich in der zunehmenden Urbanisierung und Entstehung von Städten mit Bürgerrechten, der Neubesiedlung des Landes mit freien Bauern, im Burgenbau, in der Entwicklung des Urkundenwesens, schließlich in der Gründung von Klöstern und Universitäten niederschlug. Dieser Kompetenztransfer erfolgte im westslawischen Bereich überwiegend (obgleich keineswegs ausschließlich) von West nach Ost und wurde von dynastischen, klerikalen oder (Fern)Händlereliten getragen. Einen geeigneten Mechanismus, zivilisatorische Muster zu übernehmen und den Wissenstransfer zu erzeugen, stellte die konkurrierende Imitation dar. Sie half den Eliten dabei, Kompetenzen zu akkumulieren, die dem Ziel dienten, die Einnahmen zu erhöhen und die Herrschaftsbildung effizienter zu gestalten.
Hier setzt das Projekt an, das diese Thematik am Beispiel der östlichen Peripherieräume des römisch-deutschen Reiches aufgreifen und die Forschungslandschaft um den zentralen, jedoch bislang vernachlässigten Aspekt “Geld“ erheblich erweitern will.
Das Vorhaben soll sich aus drei Bausteinen zusammensetzen. Im ersten Teil – und nach einer diskursiven Bestimmung der Termini „Ungleichheit“ und „konkurrierende Imitation“ – sollen Analogien und Abweichungen in der Ikonografie und den Funktionen der westslawischen Nachprägungen deutscher Pfennige (Zentralpolen; Mecklenburg-Vorpommern; Pommern) im 11. Jahrhundert eruiert werden. Eine besondere Relevanz ist der Frage beizumessen, inwieweit die Verwendung dieser Gepräge zur Modernisierung von Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft östlich der Elbe beitrug.
Im zweiten Schritt werden die ökonomischen Asymmetrien in Mitteleuropa im 12.-13. Jahrhundert anhand einiger Indikatoren kontextualisiert. Dabei sind die sog. “long-lived” Pfennige den “short-lived“ Münzen (B. Kluge) gegenüberzustellen. Erstere galten in einem Gebiet während der gesamten Herrschaftszeit des Münzemittenten (oder länger). Letztere wiederum waren nur in bestimmten Perioden der „Regierungszeit“ eines Herrschers gültig und wurden bisweilen durch neue Denare abgelöst. Den kompletten Münzumtausch setzte dabei die begrenzte Menge der in Zirkulation befindlichen Exemplare voraus.
Die Diskussion muss überdies in einen breiten gesellschaftlichen Zusammenhang gebracht werden, der auf die folgende Frage abzielt: Spiegelt die renovatio monetae (Münzumtausch) eine geringe Arbeitsteilung, einen niedrigen Grad der Spezialisierung der Haushalte, einen schwachen Urbanisierungsgrad sowie unterkomplexe Erfahrungen im Umgang mit Geld auf lokalen Märkten wider? Die Grenze zwischen beiden Systemen (mit Überschneidungen) verlief zwischen 1140 und 1300 mehr oder weniger entlang der Rheinachse.
Schließlich sollen im dritten Teil die Begriffe Thesaurierung, Monetarisierung und Entwicklung miteinander in Verbindung gesetzt und in der Praxis am Beispiel Schlesiens konkretisiert werden. Schlesien gehörte zu jenen Regionen des piastischen Polen, die im Laufe des 13. Jahrhunderts am frühesten von dem so genannten Landesausbau (bekannt auch unter dem Terminus Ostkolonisation bzw. -expansion) erfasst wurden. Gleichzeitig wartet Schlesien mit einer relativ hohen Dichte von Münzfunden auf, die es im östlichen Mitteleuropa beispiellos macht. Wenn man den Überzeugungen der numismatischen Zunft folgt, wonach die Deponierung von Edelmetallen – abgesehen von Kriegszeiten – eine Folge ökonomischer Rückständigkeit sei, dann muss dieser Widerspruch geklärt werden.
Das Forschungsprojekt trägt somit zu einer Neuvermessung der deutsch-polnischen Geschichte im Hochmittelalter bei und erprobt methodisch innovative Ansätze, die helfen, die ökonomischen, politisch-fiskalischen und gesellschaftlichen Verflechtungen in Mitteleuropa aus einem komplett anderen Blickwinkel (als bislang) zu beleuchten.
Teilprojekt 2
Regionsbildung und Repräsentationsstrategien der schlesischen Herzogtümer des oberen Odergebiets im 15. und 16. Jahrhundert
Bearbeiterin: Romana Kálnai Petráková
Lässt sich eine Region aufgrund ihrer Architektur und Kunstproduktion von ihren Nachbarregionen unterscheiden? Könnten dabei definierbare Spezifika gefunden werden? Wurden diese als unabdingbare Bestandteile der Elitenrepräsentation instrumentalisiert? Oder spielt die regionale Zugehörigkeit keine bemerkbare Rolle?
Dies sind einige der Kernfragen des kunsthistorischen Projekts, dessen Schwerpunkt in der Untersuchung der Architektur und der Kunstdenkmäler liegt. Die Grundlage der Untersuchung bilden insgesamt 23 Herzog- und Fürstentümer, die zwischen Anfang des 14. und Mitte des 16. Jahrhunderts herrschaftlich selbständige Gebiete waren: das Oppelner, Ratiborer und Beuthener Herzogtum und die auf deren ursprünglichen Gebieten entstandenen Herzogtümer Cosel, Falkenberg, Strehlitz, Gleiwitz, Klein Glogau, Tost, Loslau und Sewerien. Weiter das Teschener Herzogtum und die hier gebildeten Herzogtümer Auschwitz, Zator und Bielitz sowie das Troppauer Herzogtum mit den Herzogtümern Freudenthal, Leobschütz und Jägerndorf. Aus dem zuletzt genannten wurde noch das Herzogtum Rybnik ausgegliedert. Darüber hinaus sollen auch die Regionen Pleß und Prudnik mit untersucht werden. Ein besonderes Beispiel stellt nicht zuletzt das Herzogtum Neiße dar, welches den Fürstbischöfen zu Breslau gehörte.
Die schlesischen Herzöge schienen trotz ihrer vergleichsweise wenig machtvollen Position zwischen hochrangigen Herrschern benachbarter Länder durchaus aktive Akteure der Regionsbildung ihrer Herzogtümer gewesen zu sein. Außer ihnen sollen auch die Kirchenorden mit ihren Niederlassungen, der weltliche Klerus städtischer Stiftskirchen sowie das seit ca. Mitte des 14. Jahrhunderts immer stärker gewordene Patriziat und die jeweilige Rolle dieser Akteure in der Geschichte der einzelnen Regionen untersucht werden, mit dem Fokus auf den Einfluss auf die Regionsbildung. Für den untersuchten Zeitraum ist ebenfalls der Wechsel von herrschaftlichen Dynastien sowie der konfessionelle Pluralismus in den jeweiligen Kleinregionen von signifikanter Bedeutung.
Die Untersuchung der Architektur und Kunstwerke in den einzelnen Herzog- und Fürstentümern wird mithilfe klassischer kunsthistorischer Methoden wie Quellenkritik, kunsthistorischer Bauforschung und Stilanalyse sowie Stilvergleich durchgeführt. Die Ergebnisse dienen einerseits dem fundierten Vergleich innerhalb der Region, andererseits dem Vergleich von Architektur und Kunstwerken mit den anderen untersuchten Regionen. Auf dieser Grundlage wird abschließend ein breiterer Vergleich mit der Kunst- und Architekturproduktion der benachbarten Länder wie Böhmen, Mähren, Kleinpolen und Niederschlesien mit deren jeweiligen künstlerischen Zentren Prag, Olmütz, Brünn, Krakau und Breslau durchgeführt.
Es ist davon auszugehen, dass einzelne Herzöge und Fürsten eine eigene individuelle herrschaftliche Repräsentation anstrebten, die sich aber in ihren Formen im Laufe von fast 200 Jahren deutlich veränderte. Es ist zu erwarten, dass sich aufgrund gezielter Kunst- bzw. Architekturförderung verschiedene, wechselwirksame Konkurrenz- oder Annäherungsverhältnisse feststellen lassen. Bezogen auf die häufigen Änderungen geographischer Grenzen der einzelnen Herzog- und Fürstentürmer und dem Entstehen neuer, immer kleinerer Teilfürstentümer wäre zu klären, ob damit eine neue Strategie der herrschaftlichen Legitimation korrelierte, die sich wiederum auf das Kunstschaffen und die Architektur auswirkte.
Ziel des Projekts ist es, zunächst anhand der Aufarbeitung historischer Entwicklungen die Regionsbildung der Herzogtümer des oberen Odergebiets nachzuzeichnen. In einem zweiten Schritt wird dann mithilfe kunsthistorischer Analysen der erhaltenen Architektur und der Kunstdenkmäler kritisch herausgearbeitet, ob und – wenn ja – auf welche Weise sich regionale Spezifika der einzelnen Herzogtümer feststellen lassen, wie diese als Teile Oberschlesiens zu deuten sind und in welchen Zusammenhängen sie mit ihren Nachbarregionen standen. Eine präzise Aufarbeitung des künstlerischen Transfers soll dabei die Mechanismen der im Fachbereich 1 zentralen Fragen nach Phänomenen wie Assimilierung und Ausdifferenzierung der Kunstproduktion untersuchen.
Dabei beinhaltet der relativ breite Zeitrahmen des Projektes allgemeine Transformationsprozesse inklusive des Aussterbens der ursprünglichen Zweige der Piastendynastie sowie Änderungen der Konfessionsstruktur, die bei der immer deutlicheren Kleinteilung der Gebiete als gegensätzliche Prozesse der Integration und Desintegration angesehen werden können.
Okt