„Brandstifter“, BRD 1969

Filmvorführung

So. 18.03.2018 | 18:00 Uhr
Prof. Dr. Magdalena Saryusz-Wolska
Warschau

Im Rahmen der Filmreihe „Jahr des Protestes. 1968 im europäischen Kino

65 Min., Regie: Klaus Lemke

Ort: Kino Iluzjon
Der Film wird im deutschen Original mit polnischen Untertiteln gezeigt.

Im Anschluss an den Film findet ein Gespräch mit dem Regisseur statt.

Der deutsche Regisseur Klaus Lemke (geb. 1940) debütierte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit Kurzfilmen. 1967 drehte er seinen ersten Langfilm „48 Stunden bis Acapulco“. Zwei Jahre später sorgte sein Film „Brandstifter“, eine Erzählung über den ersten Terroranschlag einiger späterer Mitbegründer der Roten-Armee-Fraktion, für einen Skandal. In vielen seiner Filme zeigt Lemke das gesellschaftliche Leben in der Stadt Hamburg. Er gilt als kompromissloser Regisseur, der oftmals ohne Subventionen, ohne fertige Drehbücher und mit Laiendarstellern drehte. Zu seinen bekanntesten Werken gehören neben „Brandstifter“ die Filme „Rocker“ von 1972 und „Die Ratte“ von 1982. Beide erzählen von Problemen einer rebellischen Großstadtjugend. Viele Filmkritiker sehen in Lemke einen der letzten Vertreter der Autorenkinos. 2012 fand in einer skandalumwitterten Atmosphäre die Premiere seines Streifens „Berlin für Helden“ statt. In den darauffolgenden Jahren drehte er noch drei weitere Spielfilme. 

Das Treffen mit Klaus Lemke wird von Ewa Fiuk moderiert. Die Filmwissenschaftlerin und Germanistin ist Expertin für das deutsche Kino und Autorin u.a. der Bücher „Inicjacje, tożsamość pamięć. Kino niemieckie na przełomie wieków” (Initiation, Identität, Gedächtnis. Der deutsche Film um die Jahrhundertwende, 2012) sowie „Obrazo-światy, dźwięko-przestrzenie. Kino Toma Tykwera” (Bilderwelten, Klangraum. Das Kino Tom Tykwers, 2016).

Veranstalter der Filmreihe sind das DHI Warschau, die Nationale Filmothek – Audiovisuelles Zentrum, das Institut Français Warschau, das Slowakische Institut Warschau, das Tschechische Zentrum Warschau, das Goethe-Institut Warschau, das Italienische Kulturzentrum und das Marek-Edelmann-Dialog-Zentrum Łódź. 

Zum Film:

Brandstifter

Die Premiere des vom Westdeutschen Rundfunk produzierten Films fand kaum ein Jahr nach den von Andreas Baader und Gudrun Ensslin gelegten Bränden in zwei Frankfurter Kaufhäusern statt. Die späteren Anführer der RAF protestierten damit gegen die gesellschaftliche und politische Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland am Ende der 1960er Jahre. Der Film von Klaus Lemke, den viele Angehörige der westdeutschen bürgerlichen Konsumgesellschaft als Skandal empfanden, bezieht sich wenn auch nicht explizit, so doch deutlich auf diese Ereignisse. Der Regisseur porträtiert eine fiktive Gruppe Kölner Jurastudenten, die sich gegen die herrschende Ordnung auflehnen. Die Protagonisten, Vertreter der sogenannten 68er, diskutieren über Weltpolitik und die Notwendigkeit eines gesellschaftlich-kulturellen Wandels in Deutschland, einschließlich einer Revolution im akademischen Bereich. Während die einen an die Macht des Wortes glauben, entschließen sich die anderen zur Tat. Über die filmischen Ereignisse legt sich der Zeitgeist, und deutlich offenbart sich die Faszination des Regisseurs für die amerikanische Kultur – seine Protagonisten trinken Coca-Cola, hören Rockmusik, mögen Pop-Art und reisen nach New York...

Lemke, ein Bewunderer des durch Hollywood geprägten Genrefilms, der einst als größter anti-intellektueller deutscher Filmemacher galt, schuf einen beunruhigenden, selbstreflektierenden und zugleich (selbst)ironischen Film – einen Film, der sich gleichermaßen an den beiden Antipoden kommerzielles Kino und Arthouse-Filme der Generation des Oberhausener Manifests verorten lässt. Zwei Rollen in „Brandstifter“ besetzte Lemke mit Künstlerinnen, die in der Folge noch eine außergewöhnlich wichtige Rolle für die deutsche Kinematografie spielen sollten: Margarethe von Trotta, die später zu einer der berühmtesten europäischen Regisseurinnen avancierte, und die damals erst 18-jährige Iris Berben, heute eine Diva des deutschen Films. (Text: Ewa Fiuk)

Zur Filmreihe:

Jahr des Protestes. 1968 im europäischen Kino

Zwölf Filme aus sechs Ländern geben die Atmosphäre Ende der 1960er Jahre wieder – eingefangen zum Zeitpunkt der Ereignisse oder erinnert nach Jahren. Obwohl sich die Forderungen der protestierenden Studenten in Frankreich, Italien und Westdeutschland von den Erwartungen der jungen Leute in Polen und der Tschechoslowakei unterschieden, verband sie doch der Geist des Widerstands und und der Unzufriedenheit mit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Alle gehörten sie zur ersten Nachkriegsgeneration. Sie sehnten sich nach einem Bruch mit den alten Moralvorstellungen und suchten eine neue Sprache in der Kunst. Was sie unterschied, war die Politik. In Westeuropa begeisterte sich die rebellische Jugend für den Kommunismus, während die aufbegehrenden Bürger Ostmitteleuropas ihn verdammten.

1968 betrat eine Generation die kulturelle und politische Bühne, für die „Gleichheit“ und „Freiheit“ keine leeren Phrasen waren. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nahm man es damit außerordentlich ernst. Erich Fromm schrieb: „[D]iese jungen Menschen wagen es zu sein und fragen nicht, was sie für ihren Einsatz bekommen oder was ihnen bleibt.“

Die Zeit hatte jedoch auch ihre dunklen Seiten: den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei, die antisemitische Hetze in Polen und die terroristischen Anschläge der Roten Brigaden und der RAF. Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen lösten bei den Gruppen, gegen die sie gerichtet waren, Unruhe und Angst aus. Das Ende der 1960er Jahre, das waren nicht nur fröhliche Gegenkultur, Protestsongs und Schlaghosen, sondern auch die Erfahrung handfester Gewalt.

Einrichtungen, die sechs Länder – Polen, Tschechien, die Slowakei, Deutschland, Frankreich und Italien – vertreten, präsentieren ein gemeinsames Panorama jener Zeit im Spiegel des Spielfilms. Das Kino der 1960er Jahre belegt die wichtige und einigende Rolle der Kunst: die Suche nach neuen Ausdrucksformen und mutiger Ästhetik und die Befreiung vom Maulkorb stilistischer Konventionen. Das Jahr 1968 ist ohne die „Neuen Wellen“ im Film nicht zu denken. Der revolutionäre Geist des Kinos von damals lässt die Filme von heute erstaunlich traditionell erscheinen. Ist die Gegenkultur gescheitert? Nicht unbedingt. Heute schwingt in den Erinnerungen an jene Jahre Nostalgie und die Sehnsucht nach Revolte und einer engagierten Jugend mit.

50 Jahre nach dem polnischen März, dem französischen Mai, dem Prager Frühling und den deutschen Studentenprotesten wird Europa erneut von politischen Turbulenzen erschüttert. Die vom Protest jener Generation ausgelösten Veränderungen waren dauerhaft. Die Generation selbst jedoch tritt heute aus Kultur und Politik ab. Sie macht Menschen Platz, die in einem anderen Europa groß geworden sind. Wie gehen wir heute mit dem Erbe von 1968 um? Woran erinnern wir uns, was haben wir vergessen? Die in der Filmreihe gezeigten Filme geben vielfältige Antworten und provozieren weitere Fragen. (Text: Magdalena Saryusz-Wolska)

01
Feb
Ausstellung Podiumsdiskussion
Ausstellung: Bericht aus der belagerten Stadt Tschernihiw
Mehr lesen