Dienstagsvortrag: Prof. Yfaat Weiss "Tarbut im Derech Eretz. Jugend in Litauen"

Vortrag

Di. 04.06.2024 | 18:00 Uhr
Warschau

Während der Zwischenkriegszeit genossen die Juden in Litauen bekanntlich kulturelle Autonomie. In den Jahren 1919–1926, ehe Litauen tiefgreifende politische Veränderungen durchlief, war die dortige Freiheit für die Entfaltung jüdischer Kultur und Bildung im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern sehr weitreichend. Aber auch danach florierte das jüdische Leben in Litauen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieg – allerdings unter erschwerten Bedingungen. Aufbauend auf der eigenen jüdischen lokalen Tradition seit der Haskala entstand dort ein umfassendes Schulwesen: „Tarbut,” das auf Hebräisch geführte Netzwerk jüdisch-säkularer Bildung entwickelte sich in Litauen zum bestimmenden Faktor. In absoluten Zahlen besuchten die Tarbut-Einrichtungen im kleinen Litauen bei weitem mehr Kinder und Jugendliche als im zehnfach größeren benachbarten Polen.

Basierend auf der zunehmenden Zahl von Juden, die ihre Kinder unter wirtschaftlichem Druck in den 1930er Jahren in allgemeinen Schulen unterrichten ließen, schrieb der große Osteuropa‑Historiker Ezra Mendelson in seinem Buch “Jews in East Central Europe between the Wars,” folgendes: “We may assume that had independent Lithuania existed for another twenty years a situation similar to that which prevailed in interwar Poland would have come to pass, with a minority of politically and culturally committed parents sending their offspring to Jewish national schools while most attended institutions of the majority culture. In this regard, Lithuania provides additional evidence that the ambitious programs of those who believed in extraterritorial autonomy for the Jewish nation in East Europe were built on sand.“

Im Gegensatz zur Einschätzung eines zionistischen Telos, wird anhand einer Fülle von textuellen, materiellen und visuellen Materialien, deren Lokalisierung Teil des Vortrags ist, der Versuch unternommen, das Phänomen der hebräischen Jugend in Litauen in der Zwischenkriegszeit von seinem Ursprung und nicht von seinem Ende – durch den unterdrückenden Kommunismus und den vernichtenden Nationalsozialismus – zu beschreiben.

 

Yfaat Weiss ist Historikerin mit Professuren an der Hebräischen Universität Jerusalem sowie der Universität Leipzig und Direktorin des Leibniz-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow. Zu ihren zahlreichen Publikationen gehören: Lea Goldberg. Lehrjahre in Deutschland 1930–1933 (Göttingen 2012) sowie Verdrängte Nachbarn. Wadi Salib und Haifas enteignete Erinnerung (Hamburg 2012).

Der Vortrag wird auf Deutsch mit Übersetzung ins Polnische stattfinden. Wir laden herzlich zum Dienstagsvortrag in unseren Vortragssaal ein.

 

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