Wie Ideen Reisen - Wissensbeziehungen und der Kalte Krieg

Im Zuge des Kalten Krieges und der Dekolonialisierung boten sowohl der West- als auch der Ostblock verschiedene Arten von Bildungs- und Entwicklungsprogrammen an. Ziel war es, die Länder der sogenannten „Dritten Welt“ in ihre jeweilige Einflusssphäre zu holen. Eine große Rolle bei den Bemühungen, die konkurrierenden Modelle der kapitalistischen bzw. sozialistischen Modernisierung voranzutreiben, spielte die Unterstützung durch wissenschaftliche Expertinnen und Experten. Durch Bildungshilfe und insbesondere Stipendienprogramme kämpften beide Seiten der politischen Kluft um die zukünftigen Eliten der postkolonialen Welt.

Das 21. Joachim-Lelewel-Gespräch trug den Titel „How Ideas Travel: Knowledge Relations and the Cold War“ und thematisierte die Wissensbeziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und den Ländern des Nahen Ostens und Afrikas in der Zeit des Kalten Krieges. 

Die Veranstaltung am 2. Dezember 2021 stand im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Forschungsprojekt „Relations in the Ideoscape: Middle Eastern Students in the Eastern Bloc“, welches die DHIs in Warschau und Moskau gemeinsam mit dem Orient-Institut Beirut durchführen. Die Diskussion wurde von Dorota Woroniecka-Krzyżanowska (DHI Warschau) moderiert und von Justyna Turkowska (Edinburgh), Zaur Gasimov (Bonn) und Matthieu Gillabert (Freiburg) begleitet. 

Ausgangspunkt der Diskussion waren die Akteure des Kalten Krieges und deren Ziel, ihren Einflussbereich durch verschiedene Formen der Bildungs- und Entwicklungshilfe auf Länder der sogenannten „Dritten Welt“ zu erweitern. Die Volksrepublik Polen hatte sich aktiv an diesem Prozess beteiligt, indem sie Fachleute in befreundete afrikanische Länder und in Länder des Nahen Ostens entsandte. Auch Stipendienprogramme und Studienplätze an polnischen Universitäten wurden angeboten. Ziel der Online-Debatte war es, die Hauptakteure dieser Wissensbeziehungen zu untersuchen und deren Erfahrungen, berufliche Werdegänge und Biografien zu diskutieren. 

Anhand von Beispielen aus ihren Forschungsprojekten wiesen die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf die Vielschichtigkeit der Wissensbeziehungen hin, die in der Interaktion zwischen Studierenden und Dozenten bzw. Fachleuten und ihren Kollegen vor Ort entstanden. Eine solche erfahrungsnahe Perspektive ermöglichte einen Blick über die vorherrschende Darstellung des Wissenstransfers von der „Ersten/Zweiten Welt“ in die „Dritte Welt“ hinaus. Die Historikerinnen und Hstoriker wiesen auch auf die Rolle der Räume hin, in denen diese Beziehungen stattfanden, sowohl in beruflicher als auch in sozialer Hinsicht. Sie betonten, dass es bei diesen Beziehungen nicht nur um den bloßen Austausch von Wissen gegangen sei. Auch seien sich fremde Kulturen begegnet, was zu einem Wandel der Ansichten, Einstellungen und Lebensweisen geführt habe. Die Debatte schloss mit Überlegungen zu den zeitgenössischen Reminiszenzen an die Wissensbeziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und den Ländern Afrikas und des Nahen Ostens. Diese seien mit dem Zusammenbruch des Ostblocks abrupt unterbrochen worden. 

Die Debatte wurde zudem dafür genutzt, auf die Ausstellung „Wspólne przestrzenie. Migracje edukacyjne w kontekście zimnej wojny“ (Gemeinsame Räume. Bildungsmigration im Kontext des Kalten Krieges) hinzuweisen. Diese präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojekts „Relations in the Ideoscape“ und ist ab dem 15. Februar 2022 im Ethnographischen Museum in Warschau zu sehen.

29
Apr
Vortrag
Prof. Dr. Karsten Brüggemann (Tallinn): A Transnational Perspective on the Baltic Wars of Independence
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