Diskonnektivität. Strukturwandel von Netzwerken am Beispiel des vormodernen Ostmitteleuropa

Netzwerke bestimmen seit alters her das Leben und die Handlungsmöglichkeiten von Menschen. Mit diesem Begriff und durch die Anwendung verschiedener Methoden, darunter der mathematisch-statistischen Verfahren der sogenannten Graphentheorie, können viele historische Phänomene beschrieben und analysiert werden. Zugleich hat die Corona-Pandemie uns deutlich vor Augen geführt, dass Verflechtungsprozesse keineswegs ausschließlich linear verlaufen, sondern ebenso durch Unterbrechungen, Störungen oder gar Abkopplungen geprägt sind.

Um über dieses Phänomen in der Vormoderne zu diskutieren, kamen Historiker und Historikerinnen aus Deutschland, Polen, England, Dänemark, Belgien und Schottland in Warschau zusammen. Wo waren Zerfallsphänomene greifbar, und wie sind sie zu erklären? Inwieweit konnten die Akteure Verflechtung und Entflechtung beeinflussen? Versuchten sie eventuell Störungen entgegenzuwirken, und wenn ja, mit welchen Strategien? Schließlich: Welche Folgen hatte die Unterbrechung von Netzwerkslinien für gesellschaftliche, ökonomische oder politische Strukturen? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Konferenz, die von den Forschern und Forscherinnen des DHI Warschau, der Universität Jena und der Polnischen Akademie der Wissenschaften konzipiert wurde.

Basierend auf geeigneten, teilweise seriellen Quellen ließen sich Beziehungsgeflechte rekonstruieren, deren Struktur bzw. Strukturwandel Rückschlüsse auf dahinterstehende historische Phänomene ermöglichte. Es handelte sich hierbei um personale Netzwerke der Händler, Adeliger und Herrscher, die sich untereinander verschwägerten und vielfältige Geschäftsbeziehungen anknüpften, um räumliche Netzwerke der Handelsorte und ihrer Straßen- und Seeverbindungen, schließlich um Geflechte von Dingen, darunter Münzen, Glasprodukten und Kunstwerken, die sich in materieller Kultur widerspiegeln.

Aus den Vorträgen ergaben sich verschiedene Konstellationen. Handelsnetzwerke, die sich über Tausende Kilometer erstreckten und Ostmitteleuropa mit Asien verbanden, waren am labilsten. Hier können wir Entflechtungsphasen beobachten, die schließlich zum völligen Abbruch führten. Regional verankerte Interaktionen erschienen hingegen stabiler. Massive politische Turbulenzen wie die Hussitenkriege oder die Reformation konnten zwar temporäre Störungen verursachen, vermochten aber im Endeffekt nicht, Abkopplungen über mehrere Generationen hinweg zu bewirken. Einen weiteren Mehrwert für historische Forschung zeigten netzwerk-theoretische Analysen. Dank ihrer Anwendung können zum Beispiel Erwägungen zur Beständigkeit oder Quantifizierung von Beziehungsgeflechten angestellt werden.

Die auf der Tagung zum Tragen gekommenen unterschiedlichen Herangehensweisen bzw. verwendeten Quellen sorgten für lebhafte und kontroverse Diskussionen. Gleichzeitig unterstrichen sie ein großes methodisches und komparatives Potenzial des Konzepts bei der Rekonstruktion von Konfigurationen, die zur Auflösung von bestehenden Verknüpfungen beitrugen.

Tagung am DHI Warschau am 9./10. November 2023

03
May
Conference
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