Als Leitthema der künftigen Überlegungen und Diskussionen während diesjähriger, bereits zehnter Auflage der zyklischen wissenschaftlichen Tagung aus der Reihe „Gebirge – Literatur – Kultur“ stehen gewählte Aspekte der sinnlichen Wahrnehmung von Bergen im Fokus: Es lehnt sich nicht nur an die den jüngsten Entwicklungen im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Problematik der Sinne an, die ihre kognitive und epistemologische Rolle im Erkenntnisprozess analysieren, sondern auch an ihre Funktion als ‚Kanal für die Vermittlung kultureller Werte‘. Im Licht zahlreicher Studien aus dem Bereich der Kulturanthropologie hat die Sinneswahrnehmung ihre physische und psychologische Dimension, ist aber auch als eine kulturelle Handlung zu verstehen. Die ‚Anthropologie der Sinne‘ profilierte sich in der jüngsten Zeit als ein eigenständiges Fachgebiet. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Beziehungen zwischen den Erfahrungen vom Sehen, Hören und Fühlen und den unterschiedlichen Formen des Diskurses sowie des künstlerischen Ausdrucks. Es scheint demnach, dass der sensorische Zugang im Rahmen von mountain studies, welche sich auf die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Gebirge fokussieren, eine Chance gibt, die Forschungsperspektive um neue, bisher wenig berücksichtigte Aspekte zu erweitern. Während die visuelle Wahrnehmung und Visualisierung der Berge bereits mehrmals thematisiert wurde, bleibt die Problematik der Rolle von anderen Sinnen bei der Herausbildung von Repräsentationen der Gebirge ein breites wissenschaftliches Neuland. So wird sich das diesjährige Treffen der Funktion und Bedeutung der breit verstandenen Sinneswahrnehmung bei der Erfahrung des Gebirgsraumes zuwenden, unter besonderer Berücksichtigung von Klängen, Geschmäcken, Gerüchen und Berührungen. Die visuellen Perzeptionen und Repräsentationen sollen nicht ausgeklammert werden, sondern sie sollen mit Hinblick auf ihre Wechselwirkungen mit andern Sinneserfahrungen thematisiert werden, nicht zuletzt im Rahmen einer synästhetischen Korrelation.
Im Kontext der gegenwärtigen Studien zur Sinneswahrnehmung in Bezug auf mountain studies sollen folgende Themenbereiche und Fragestellungen diskutiert werden:
- Auf welche Weise und in welchem Grad werden Gebirgsräume Gegenstand diskursiv, kulturell, künstlerisch vermittelten sinnlichen Wahrnehmung, wie drückt sich dieser Einfluss bei der Entstehung neuer, z.B. polysensorischer (synästhetischer) Erfahrungen aus? Welche Funktion hat er im epistemologischen, ästhetischen und emotionalen Bereich? Welche Rolle spielen dabei historischer und kultureller Kontext und individuelle Kondition? Im Zentrum unseres Interesses werden unterschiedliche Narrative stehen, u.a. Reiseberichte, Berichte der Bergsteiger, Kletterer, Anthropologen und Ethnologen, Naturforscher, Geographen usw., und zudem literarische, künstlerische sowie musikalische Repräsentationen.
- Gibt es Zusammenhänge der Interaktion zwischen Mensch und Gebirgsraum einerseits und der Hierarchie der Sinne andererseits? Unter welchen Umständen oder in welchen Situationen finden eventuelle Hierarchieverschiebungen statt, welche Wahrnehmungskanäle sind dabei entscheidend?
- Gibt es bestimmte Darstellungskonventionen der breit verstandenen Sinneswahrnehmung in der Kunst und Literatur? Welche Funktion haben Motive der akustischen, olfaktorischen Erfahrungen, wie auch der Geschmacks- und Berührungserfahrung, in Reise- und Expeditionsberichten, in den wissenschaftlichen Texten, Beschreibungen der Natur- und Kulturlandschaft, wie auch in allen weiteren literarischen und musikalischen Darstellungen, oder auch in den bildenden Künsten? Auf welche Weise wird sie semantisiert bzw. mythologisiert?
- Inwieweit sind die sinnlichen Wahrnehmungen der Berge, von deren Klang, Geruch, Geschmack und Berührung, identitätsstiftend, und zwar sowohl für die in den Gebirgen lebende Bevölkerung als auch für Bergsteiger und andere ‚Bergmenschen‘?
- Welche Sinne, außer dem Sehen, dominieren in der Auseinandersetzung mit den Bergen und mit dem breiten Spektrum der Gebirgsthematik? Gibt es hier Unterschiede, die historisch oder regional bedingt sind? Haben einzelne Regionen ‚ihre eigenen‘ Klänge, Geschmäcke, Berührungen? Gibt es historische Momente, die dazu beitragen, dass bestimmte Gerüche oder Klänge und Geräusche an symbolischer oder diskursiver Bedeutung gewinnen? Gibt es bestimmte Wahrnehmungsmodi der Klänge und Gerüche, können sie als ein Bestandteil eines diachronischen Prozesses angesehen werden?
- Werden Sinne (neben dem Sehen) mit der Identität der Akteure – Einwohner, Kunstschaffenden, Autoren der Narrative – als Teil der Selbst- und Fremdzuschreibung verbunden?
- Ist die Art und Weise der Darstellung von Sinneserfahren mit der Verankerung im konkreten Raum verbunden? Welchen Einfluss hat hierfür das Geschlecht?
- Gibt’s es geschlechtsspezifische Modi in der Wahrnehmung und Beschreibung des Raumes auf? Kommt der Kindheit eine besondere Perspektive bei den entsprechenden kulturellen Repräsentationen bei?
- Wird im gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, literarischen Diskurs den in den Gebirgsregionen ansässigen ethnischen oder sprachlichen Gruppen bestimmte Bedeutung bei der Entstehung der Klangkulisse der Berge zugeschrieben? Welche Rolle spielen hier nonverbale Kanäle der akustischen Kommunikation, in welcher Funktion tauchen Dialekte bzw. lokale musikalische Tradition auf? Wie, wann und im welchen Grade wird die Geruchs-, Geschmacks- und Klangproblematik zum Bestandteil der Marketingstrategien, mit denen für Gebirgsgegenden geworben wird?
Die diesjährige Tagung wird in der Pension „Willa Zameczek“ in Polanica-Zdrój (Bad Altheide) stattfinden. Tagungssprachen sind Polnisch, Deutsch und Tschechisch, für Simultanübersetzung wird gesorgt.
10. Internationale Tagung „Berge – Literatur – Kultur“: Klang, Geruch, Geschmack und Berührung der Berge
Veranstalter: Geisteswissenschaftliche Forschungsstelle für Studien der Bergproblematik am Institut für Polnische Philologie der Universität Wrocław, Deutsches Historisches Institut Warschau