Grenzgebiete in Osteuropa: Minderheiten, Migration und Erinnerung nach 1945

Gemeinsam mit dem Nordost-Institut Lüneburg (IKGN e.V.) organisierte das DHI Warschau zum Abschluss des DFG/NCN-Projektes „Jews and Germans in Polish Collective Memory” die Konferenz „Minorities, Migration and Memory in East European Borderlands (1945-present)”. Die vom 24. bis 26. September 2019 am DHI stattfindende Tagung beleuchtete Besonderheiten und Herausforderungen, die in osteuropäischen Grenzregionen nach 1945 zu beobachten waren und diskutierte, inwiefern deren Auswirkungen heute noch immer spürbar sind. Die Teilnehmenden aus Polen, Frankreich, Ungarn, Österreich, der Ukraine und Deutschland beschäftigten sich mit ausgewählten Grenzgebieten Osteuropas aus soziologischer, rechtshistorischer, literarischer sowie erinnerungskultureller Perspektive.

In ihrer Einleitung wiesen die Organisatorinnen Katrin Steffen und Barbara Pabjan auf das 20. Jahrhundert als gewaltintensive Erfahrung hin, durch welche die Grenzregionen in Form von Grenzverschiebungen, Inklusion oder Exklusion von Minderheiten und Migrationsbewegungen besonders betroffen gewesen seien. Diese Regionen seien von Dualität und Loyalitätskonflikten geprägt und fungierten trotzdem als Brücke und Vermittler zwischen grenznahen Kulturen. All dies bedinge einen gewissen Eigensinn der Grenzgebiete, welchen die Teilnehmenden unter anderem in den folgenden Panels erörterten.

Die Vorträge des ersten Panels (Landscapes of Memory) konzentrierten sich auf Auswirkungen von Migrationsbewegungen der – vor allem jüdischen – Minderheit sowie auf Erinnerungslandschaften sowohl in Schlesien (Johann Nicolai) als auch in Kaliningrad (Julia Oisboit). Am Abend präsentierten Ruth Leiserowitz und Catherine Gousseff (Paris) in ihrer dialogischen Keynote mit dem Titel „Beyond Borders. A Dialogic Keynote on East European Borderlands“ sowohl allgemeine Überlegungen zu Grenzgebieten als auch Schlaglichter auf Ostpreußen und die Westukraine, womit sie weitere Ausblicke auf die folgenden Konferenztage gaben.

Das zweite Panel (Borders – Fixed and Phantomized) setzte sich mit festen und imaginierten Grenzen auseinander, die noch heute die Strukturen dieser Regionen bestimmen und eine Rolle in der Identitätsbildung der Menschen, etwa in der Westukraine, Polen und Weißrussland sowie Ungarn und Österreich, spielen. In der anschließenden Sektion (Borderland Narratives) wurden Erzählungen der Grenzgebiete anhand unterschiedlicher Herangehensweisen thematisiert – durch Memoiren (Anna Lagno), zeitgenössische Literatur (Magdalena Baran) oder Oral History Interviews (Imke Hansen).

Im Fokus des vierten Panels (Identification and Representation) standen Regionen, die versuchten, durch Abgrenzung zu ihren umliegenden Nachbarn ihre eigene Identität zu konstituieren. So spielt die mit Ungarn verknüpfte Vergangenheit nach 1945 eine wesentliche Rolle im kroatischen Međimurje (Péter Bedöl), während das ostukrainische Mariupol (Yuliya Abibok) anstrebt, sich von der ukrainischen Identität abzusetzen. Die Vorträge des letzten Tages (Inclusion, Exclusion and Repression) behandelten alltägliche Konfrontationen und Konflikte in den Grenzgebieten, wie beispielsweise die Präsentation von Maria Reisky (Opole) zeigte, die sich mit Fragen der Polonisierung deutscher Namen in Oberschlesien beschäftigte.

Allen Beiträgen lag die Suche nach Veränderung oder Neuerfindung von Identität zugrunde, die durch Prozesse von Migration, Assimilation und Vertreibung als Erbe des Zweiten Weltkrieges besonders in den Grenzregionen Osteuropas spürbar waren und sind. Deshalb erscheint es dringend notwendig, transnationale und komparative Studien durchzuführen, um den Eigensinn dieser Gebiete nachvollziehen zu können. Imke Hansen wies in ihrem Schlusswort unter anderem auf bestehende Spannungen zwischen den Generationen der Grenzbewohner hin, die in der Erforschung der Gebiete bisher vernachlässigt worden seien. Das Thema der Grenzgebiete bleibt ein offenes Feld, das weit über die Geschichtswissenschaft hinausragt, wie diese Konferenz belegt. Eine Publikation dieses breiten Panoramas an Beiträgen, das durch vielseitige Diskussionsansätze und Fragen untermauert wurde, ist geplant.

03
Mai
Tagung
Connecting Catholics in a Divided World: The Vatican and the Local Roman and Greek Catholic Church in Eastern Europe as an Intermediary in the Cold War (1945–1978)
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