Rechtsstadtgründungen im mittelalterlichen Polen

In Kooperation mit dem Münsteraner Institut für vergleichende Städtegeschichte legt das Deutsche Historische Institut in Warschau einen Sammelband mit neuesten polnischen Beiträgen zur mittelalterlichen polnischen Stadtgeschichte vor.

Der hochmittelalterliche Landesausbau führte auch in Polen eine grundlegende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft herbei. Zu ihren Innovationen gehörte, dass bestehende Markt- und Burgsiedlungen durch ‚Lokationen’ topographisch reorganisiert, ökonomisch zu multifunktionalen Handels- und Gewerbezentren erweitert, durch den Zustrom fremder und einheimischer Siedler ethnisch und sozial diversifiziert und mit der Adaptierung neuer Rechtsnormen und der Etablierung von Selbstverwaltungsstrukturen zu kommunalen Rechtsstädten weiterentwickelt wurden. Der von Eduard Mühle herausgegebene und eingeleitete (S. 1-11) Band präsentiert in 16 Aufsätzen zeitgenössischer polnischer Historiker, Archäologen, Kunst- und Architekturhistoriker ausgewählte neuere Erträge der polnischen Forschung zu diesem komplexen Vorgang, über den sich polnische und deutsche Historiker im vergangenen Jahrhundert unter nationalen Vorzeichen lange Zeit heftig gestritten haben.

Der Band wird mit einer Erörterung der Voraussetzungen und Ausgangssituationen der Rechtsstadtgründungen durch Sławomir Gawlas eröffnet, der dem Leser einen umfassenden Überblick über „Fürstenherrschaft, Geldwirtschaft und Landesausbau“ bzw. den „mittelalterlichen Modernisierungsprozess im piastischen Polen“ bietet (S. 13-76), ehe er in einem zweiten Beitrag eine allgemeine Darstellung der „Lokationswende in der Geschichte mitteleuropäischer Städte“ gibt (S. 77-105). Die Beziehung zwischen Lokationsvorgang und kirchlichen Stiftungen beleuchtet Marek Słon am Beispiel der Städte Breslau, Krakau und Posen (S. 107-126). Drei weitere Beiträge sind der lang gestreckten Gründung der Rechtsstadt Breslau gewidmet, wobei Jerzy Rozpędowski ein Bild „Breslau[s] zur Zeit der ersten Lokation“ zeichnet (S. 127-138), Jerzy Piekalski „Die Lokation Breslaus als archäologisches Forschungsproblem“ erörtert (S. 139-155) und Mateusz Goliński die „räumlichen Veränderungen Breslaus nach der Lokation“ vorstellt (S. 157-168). Die „Genese und Funktion so genannter Neustädte in Schlesien im 13. und 14. Jahrhundert“ behandelt Stanisław Rosik am Beispiel von Breslau, Glogau und Schweidnitz (S. 169-179), während Mateusz Goliński und Rościsław Żerelik eingehend „Die Kontroverse um die Lokation von Liegnitz“ (S. 181-204) erörtern und Tomasz Jurek mit einer Darstellung der „Stadtlokationen auf den Gütern der Herren von Pogarell“ einen letzten Beitrag zum schlesischen Städtewesen liefert, der zugleich exemplarisch die – seltener auftretende – Variante der „privaten“ Lokationen durch Adlige erhellt (S. 205-222). Die Umstände und Folgen der Lokationen in Posen und Krakau behandeln Tomasz Jurek („Der Posener Loaktionsprozesse“, S. 223-244) und Jerzy Wyrozumski („Eine oder mehrere Lokatinen Krakaus nach deutschem Recht?“, S. 245-274), während Bogusław Krasnowolski „Muster urbanistischer Anlagen von Lokationsstädten in Kleinpolen“ erörtert und Roman Czaja in einer Art Zwischenbilanz einen Überblick über „Städte und Bürgertum in den polnischen Ländern an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert“ gibt (S. 323-338) bietet. Abgerundet wird der mit zahlreichen Stadtplänen ausgestattete Band mit zwei Beiträgen von Andrzej Janeczek, der zum einen mit Przemyśl ein konkretes ruthenisches Lokationsbeispiel erörtert (S. 339-354), zum anderen einen Gesamtüberblick über den ruthenischen Urbanisierungsprozess gibt und damit den Untersuchungszeitraum des Bandes in diesem Fall bis ins 16. Jahrhundert, also weit über die Zeit piastischer Königsherrschaft hinaus erweitert. Den mit einem Index der Personen- und Ortsnamen versehenen Band beschließt eine Reflexion Henryk Samsonowiczs über die Frage „Wer traf die Entscheidungen in den selbstverwalteten Städten des mittelalterlichen Polen?“

Rechtsstadtgründungen im mittelalterlichen Polen, hrsg. von Eduard Mühle [Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte. Reihe A: Darstellungen, Bd. 81]. Böhlau-Verlag, Köln u.a. 2011 – ISBN 978-3-412-20693-2, 395 S. mit 31 s/w-Abb.,  € 39,90 [D].

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