Die Wende - Deutschland und seine Nachbarn

Vertreter des DHI Warschau und seiner Prager Außenstelle, des Berliner Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften (ZHF) und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung veranstalteten am Dienstag, dem 10. Oktober 2023, eine Podiumsdiskussion in den repräsentativen Räumlichkeiten des Goethe-Instituts in Prag. Titel der Veranstaltung war „Deutschland und seine östlichen Nachbarn 1989–1998: Turbulenter Neuanfang und solide Grundlagen“.

Nach den den Eröffnungsreden berichteten die Gäste auf Wunsch des Moderators Miloš Řezník zunächst über ihre eigenen Erfahrungen aus den Revolutionsjahren 1989 und 1990. Der tschechische Diplomat Rudolf Jindrák hob die Schlüsselrolle Deutschlands bei der internationalen politischen Gestaltung der neuen Staatlichkeit der ehemaligen Sowjetsatelliten in Ost-Mitteleuropa hervor. Dem schloss sich der polnische Oppositionelle und spätere Diplomat Janusz Reiter an. Er erklärte, die Idee der deutschen Wiedervereinigung habe in polnischen Nichtregierungskreisen Ende der 1980er Jahre große Unterstützung erfahren. Gleichzeitig wies er jedoch auch auf damit verbundene Unsicherheiten hin; insbesondere darüber, in welchen Grenzen das neue Deutschland wieder aufgebaut werden sollte.

Eine eher persönliche Dimension hatten die Erinnerungen des ehemaligen Diplomaten und Historikers der tschechisch-deutschen Beziehungen, Miroslav Kunštát, der anhand konkreter Erfahrungen revolutionärer Momente im Zusammenhang mit den Ereignissen in der DDR im Jahr 1989 den allmählichen Wandel von Besorgnis zu Begeisterung festhielt. Auch der Politiker Markus Meckel befasste sich ausführlich mit der Ostdeutschland-Thematik. Er betonte einen vergessenen oder sogar bewusst unterdrückten zeitlichen Aspekt zwischen dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung: Nämlich die früheste Notwendigkeit der Demokratisierung der ehemaligen staatssozialistischen Diktatur, bei der ihre Bürger eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Gleichzeitig würde ihnen die aktuelle Geschichtswahrnehmung eine aktive Teilhabe verwehren, indem sie den Zusammenbruch der DDR als bloße Folge weltverändernder Kräfte von außen darstelle.

Im zweiten Teil herrschte Einigkeit zwischen den tschechischen Diskutanten: Beide Staaten hätten eine solide Grundlage für eine gemeinsame Gestaltung der europäischen Zukunft in den späten 1990er Jahren gelegt  -- und das trotz aller Schwierigkeiten der neuen Verhandlungen mit der Tschechoslowakei.

Bei der Auswertung der letzten zwanzig Jahre konzentrierte sich Markus Meckel darauf, wie das heutige Deutschland mit seiner Erinnerungspolitik an die Jahre 1989 und 1990 den mittel- und osteuropäischen Staaten einen Anteil an der Veränderung des damaligen Systems entziehe. Rudolf Jindrák erwähnte die in den lezten Jahrten überraschend abgekühlte Beziehung Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn. Ihm zufolge seien die positiven Emotionen, die es in den 1990er Jahren noch gegeben hätte, heute aus der internationalen Politik Mitteleuropas verschwunden. Ähnlich äußerte sich Janusz Reiter, der eine in den letzten Jahren erschreckend gewachsene negative Wahrnehmung Deutschlands in der polnischen Politik bemerkte. Als Reaktion darauf sprach sich Rudolf Jindrák aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in der Slowakei gegen den Missbrauch internationaler politischer Themen im innenpolitischen Machtkampf aus.

Abschließend waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass das internationale politische System der Beziehungen zwischen den mitteleuropäischen Staaten auch 30 jahre später noch eine solide Grundlage für die Bewältigung aktueller Herausforderungen darstelle. Gleichzeitig sei die europäische Integration Ausdruck einer stabilen Ordnung, die Hoffnung gebe. Anstatt diese zu hinterfragen, sollten Wege gesucht werden, wie gemeinsam mit der wachsenden Unsicherheit in diesen stürmischen Zeiten umgegangen werden kann.

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