Polen und Litauer im Visier von Justiz und Kriminologie

© Mindaugas Mikulėnas

© Mindaugas Mikulėnas

Der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Ethnizität in den preußischen Ostprovinzen des Deutschen Kaiserreichs war Gegenstand des Vortrags von Prof. Dr. Volker Zimmermann am 27. Mai in Vilnius. Im Mittelpunkt der von der DHIW-Außenstelle Vilnius in Zusammenarbeit mit dem Litauischen Historischen Institut organisierten Veranstaltung stand eine Diskussion über die Kriminalisierung ethnischer Gruppen durch eine Mehrheitsgesellschaft und staatliche Akteure.

Zimmermann zeigte, dass Kriminologen die Ethnizität von Straftätern bereits seit dem späten 19. Jahrhundert in zunehmendem Maße diskutieren, was seitdem zu einem verstärkten Gebrauch von Begriffen wie „Volkstum“, „Nationalität“ und „Rasse“ geführt habe. Dementsprechend fragte der Vortragende danach, welche Mechanismen und Deutungsmuster zu einer Konstruktion des „kriminellen Anderen“ führten und diskutierte dies anhand von zwei Fallbeispielen: dem Regierungsbezirk der Provinz Posen und dem ostpreußischen Regierungsbezirk Gumbinnen.

In der ersten Kriminalstatistik des Reiches für das Jahr 1882 seien die preußischen Ostprovinzen als kriminalpolitische Brennpunkte charakterisiert worden, was ein kriminalstatistisches Ost-West-Gefälle entstehen ließ. Zimmermann erläuterte, dass die Bewohner dieser Regierungsbezirke Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts das Selbstbild eines ethnisch einheitlichen und wirtschaftlich hochentwickelten deutschen Nationalstaats störten. Folglich seien Polen und Litauer in dieser Region als Fremdkörper interpretiert worden.

Die Bevölkerung in den ostpreußischen Provinzen sei im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen jedoch keinesfalls krimineller gewesen. Vielmehr hätten Armut, nationale Konflikte und Nationalitätenkämpfe ein spezifisches kriminalpolitisches Spannungsfeld gebildet. Gemeinsam mit der Frage nach einem breiteren Vergleich der Kriminalitätsdiskurse in den anderen Regionen des Deutschen Kaiserreichs sowie der Frage nach Geschlechterrollen in den zeitgenössischen Kriminalitätsdiskursen wurde dieser Aspekt anschließend mit dem Publikum diskutiert.

Volker Zimmermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum in München und apl. Professor für Neuere und Neueste sowie Osteuropäische Geschichte der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf. Zuletzt erschien: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei 1945–1969 (Essen 2010).

    

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